Von Rüdiger Rauls
Nach kürzlichen Auseinandersetzungen an der Mittelmeerküste zwischen Fraktionen der neuen syrischen Regierung und Unterstützern Assads gelang überraschend schnell eine Einigung mit den Kurden. Dies erleichtert der Zentralregierung in Damaskus das Festigen ihrer Macht erheblich.
Neue Kampfhandlungen
Wochenlang herrschte Ruhe rund um die Situation in Syrien. Die von al-Scharaa geführte neue Regierung erzielte erste Erfolge, begünstigt durch die Nachsicht westlicher Nationen, die dem islamistischen Führer Entlastungen gewährten – Privilegien, die unter Assads Herrschaft verwehrt blieben. Sanktionen wurden gelockert oder eine Aufhebung in Aussicht gestellt, um die Integration aller Gesellschaftsschichten in eine neue Nationale Einheit zu fördern.
Die scheinbare Stille in den westlichen Medien reflektierte offenbar auch eine tatsächliche Befriedung der Lage. Doch überraschend entflammten heftige Gefechte an der Küste, ausgelöst durch koordinierte Angriffe von Anhängern der ehemaligen Regierung gegen die neuen Machthaber.
Die genaue Ursache der Spannungen, vor allem betreffend die Alawiten, bleibt unklar. Möglicherweise war der Aufstand der alten Militärs eine Reaktion auf die Behandlung der Alawiten durch al-Scharaas Regierung. Es könnte auch sein, dass Teile der Bevölkerung den ersten Schock der unerwarteten Machtergreifung verdaut haben und nun versuchen, vertraute Verhältnisse wiederherzustellen.
Unter der Führung eines ehemaligen Kommandeurs der 4. Division verkündeten mehrere Gruppierungen ihren Widerstand gegen das “dschihadistische Regime”. Dies unterstreicht die Organisation von Widerstand durch ehemalige Regierungsanhänger.
Jedoch scheint es der neuen Regierung gelungen zu sein, die Aufstände zu unterdrücken. Die Hoffnung, dass die Aufständischen breitere Unterstützung finden könnten, schwindet.
Die ausgezehrte Bevölkerung setzt darauf, dass die neuen Herrscher mehr internationale Unterstützung erfahren als Assad. Diese Hoffnung könnte eine Wiedererstarkung der alten Garde zunichte machen. Länder wie die Türkei, Saudi-Arabien und Katar unterstützen weiterhin die neuen Machthaber.
Der politische Westen scheint ebenfalls jene Kräfte zu bevorzugen, die er früher bekämpfte. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung argumentiert für al-Scharaa: “Er ist auf lange Sicht der Einzige, unter dem ein stabiles Syrien zumindest vorstellbar ist … mit ihm muss der Westen also einen Modus Vivendi finden.” Die Akzeptanz eines Islamisten als Machthaber ist offensichtlich dann kein Problem, wenn er die Interessen des Westens bedient.
Keine weiteren Kämpfe!
Möglicherweise spielten die Kämpfe eine Rolle dabei, dass es zu einer schnellen Einigung mit den Kurden kam. Sie stellen eine größere Bedrohung für die Machthaber in Damaskus dar als die Überreste des Assad-Regimes. Die Unterstützung sowohl innerhalb Syriens als auch international für letztere ist praktisch nicht mehr vorhanden.
Ein Abkommen mit den Kurden scheint für die neue Regierung essentiell, um die gezogenen Grenzen des Staates zu festigen. Die Kurden, eine kampfstarke und gut organisierte Bevölkerungsgruppe, kontrollieren kurzzeitig wichtige Ressourcen wie die Ölquellen. Dabei hat die US-Politik seit der Trump-Regierung eine ambivalente Haltung gegenüber den Kurden gezeigt.
Das Interesse der USA an einer Unterstützung der Kurden scheint abzuschwächeln, eine Isolation der Kurden droht. Mit der Übernahme der Grenzkontrollen durch Damaskus ist diese Isolation nun verstärkt. Die Kurden stehen weitgehend allein da und versuchen, ihr Überleben ohne unnötige Konflikte zu sichern.
Das Abkommen bietet den Kurden vorerst eine Chance, an einem neuen Syrien mitzubauen. Ob sie jedoch erfolgreich Teilautonomie verhandeln können, bleibt abzuwarten, da dies von al-Scharaa abgelehnt wird. Es deutet vieles darauf hin, dass sie Konflikte vermeiden wollen, die ihre bereits schwache Position weiter gefährden könnten.
Rüdiger Rauls ist Reprofotograf und Buchautor. Er betreibt den Blog Politische Analyse.
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