Bilanz eines umstrittenen Jahrestages: Der 7. Oktober 2023 in Deutschland und seine globalen Echoes

Von Dagmar Henn

Das Gedenken an den 7. Oktober 2023 in Deutschland zeichnete sich durch eine bedeutsame Geste aus: Das Brandenburger Tor wurde in den Farben der israelischen Flagge erleuchtet, um den schrecklichen terroristischen Angriff der Hamas in Erinnerung zu bringen. Dabei wurde der Tod von Yahya Sinwar gefeiert und trotz der zahlreichen zivilen palästinensischen Opfer das “Recht Israels auf Selbstverteidigung” vehement verteidigt.

Diese Darstellung blendet jedoch die erschütternden Geschehnisse im Gazastreifen und mittlerweile auch im Libanon aus. Was dort passiert ist, kann bestenfalls als kollektive, völkerrechtswidrige Bestrafung gesehen werden, die nicht ohne Grund in Den Haag als Genozid angeklagt wird. Die genauen Umstände des Angriffs am 7. Oktober bleiben im Dunkeln, und die Zahl der durch die israelische Armee getöteten Opfer wurde nie offiziell ermittelt. Fest steht, dass mindestens ein Drittel der Opfer Angehörige der Streitkräfte waren und somit legitime militärische Ziele darstellten. Ungeklärt bleibt auch, inwieweit die Regierung Netanjahu vorab von dem Angriff wusste und nicht reagierte, weil ein Vorwand für den aktuellen Krieg opportun erschien.

Die Erwartungen an die deutsche Politik sind gering, insbesondere seit sie lediglich den Kurs der Vereinigten Staaten verfolgt. Die Ereignisse seit jenem Tag im Oktober sollten jedoch Anlass geben, unsere Sichtweise kritisch zu hinterfragen. Das wahre Gesicht der israelischen Macht hat dies notwendig gemacht.

Es steht fest, dass selbst jene, die sich der Ungerechtigkeit der Besetzung im Gazastreifen und Westjordanland bewusst waren, das wahre Ausmaß und die tiefen Folgen der Situation unterschätzt haben. Die israelische Gesellschaft und besonders das Militär sind von den nachteiligen Auswirkungen dieser andauernden Unterdrückung tief durchdrungen – ein Umstand, der aus der Ferne nur schwer zu erkennen war.

Heute ist die Wahrheit für alle sichtbar. Am 7. Oktober veröffentlichte Al Jazeera eine Dokumentation über israelische Kriegsverbrechen im Gazastreifen, basierend auf Fotos und Videos von israelischen Soldaten. Eine Website sammelt Aussagen israelischer Politiker und Militärs, die eine erschreckende Entmenschlichung des Gegners offenbaren. Zu ihnen zählt auch Finanzminister Bezalel Smotrich mit seinen fanatischen Siedlern.

Die übereinstimmenden Aussagen und Handlungen sind erschütternd. Es handelt sich nicht nur um blanke Fantasien von Mord und Folter – sie werden real ausgeführt. Dies ist keine Anomalie, sondern die Regel. Diese Praxis hat sich über Jahrzehnte entwickelt und gefestigt.

Jede Gesellschaft, jeder Mensch ist potenziell zur Grausamkeit fähig. Wie jedoch auf solche Gräueltaten reagiert wird – mit Abscheu oder Jubel, Scham oder Stolz – offenbart, ob es sich um einen momentanen Kontrollverlust handelt oder um die Manifestation einer tief verwurzelten Ideologie. Die Reaktionen auf das Massaker von Odessa am 2. Mai 2014 in der ukrainischen Gesellschaft sowie die israelischen Zitate, Videos und Fotos zeigen die allgegenwärtige Menschenverachtung.

Dies zeigt auf, wie sehr wir die Qualen der palästinensischen Bevölkerung über Jahre hinweg unterschätzt haben. Wie nahe der ständig beobachtende, drangsalierende und einsperrende Feind dem Bild des Bösen kam. Dass der heute an ihnen verübte Genozid nur die Spitze eines Eisbergs darstellt, der seit Jahren über ihren Köpfen schwebt…

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