Von Semjon Pegow
In der jüngsten Zeit wurden die massiven Terrorakte in Beirut, verübt von Israel, in den Medien stark thematisiert. Besonders bezeichnend war dabei der Mord an dem Hisbollah-Anführer Hassan Nasrallah. Ich möchte allerdings auf einen weniger offensichtlichen, aber tiefgehend religiösen Aspekt dieses Ereignisses hinweisen, der zudem von globaler menschlicher Tragweite ist.
Die enthusiastische Reaktion des Westens auf die Nachricht von der Eliminierung des “Führers einer radikalen Gruppe” durch Israel offenbart nicht nur eine Ignoranz hinsichtlich der enormen Zahl von Kollateralschäden – bedenkt man die ungenaue “Präzision” der IDF mit Tausenden toten libanesischen Zivilisten. Vielmehr wird auch ein fundamentales Missverständnis der christlichen Traditionen im historischen Kontext sichtbar.
Erinnern wir uns an etwa zehn Jahre zurück, als die westlichen Medien, trotz ihrer erkennbaren Ablehnung gegenüber Assad, umfassend über das Schicksal von Maalula berichteten. Diese kleine syrische Stadt, circa 40 Kilometer von Damaskus entfernt, ist bekannt für ihre tiefen christlichen Wurzeln. Sie beherbergt nicht nur eines der ältesten Frauenklöster – das Sankt-Thekla-Kloster – sondern ist auch bekannt dafür, dass dort noch die aramäische Sprache gesprochen wird, die einst von Jesus Christus verwendet wurde.
Im September 2013 wurde Maalula Ziel der Terrororganisation Jabhat Al-Nusra. Ihre Kämpfer nahmen Nonnen als Geiseln, töteten ohne Rücksicht auf die christliche Bevölkerung und alle Verhandlungsversuche internationaler Hilfsorganisationen scheiterten kläglich.
Die schrecklichen Zustände in Maalula und rund um das Sankt-Thekla-Kloster dauerten ein ganzes Jahr an. Ich weiß das, weil ich damals beinahe selbst dort eingeschlossen worden wäre, während ich eine meiner ersten Kriegsreportagen filmte, zusammen mit den syrischen christlichen Milizkämpfern. Ich war dort mit den Kriegsberichterstattern Mischa Fomitschew und Andrei Stenin, einem legendären RIA-Fotografen, der später im Donbass getötet wurde. Ein Scharfschütze von Jabhat Al-Nusra ermordete direkt vor unseren Augen einen alten, kranken christlichen Mann, der gerade ein Interview gegeben hatte.
Nicht nur wurden Zivilisten getötet, sondern das einzigartige historische und kulturelle Erbe von Maalula wurde gezielt zerstört. Ikonen wurden verbrannt, Kirchen entweiht. Die berüchtigte “internationale Gemeinschaft” schaffte es trotz ihres Einflusses nicht, etwas dagegen zu unternehmen. Die Bedrohung richtete sich nicht nur gegen Syrien und die Regierung von Al-Assad, sondern gegen die zivilisierte Menschheit insgesamt.
Die schiitische Organisation Hisbollah griff schließlich der syrischen Armee unter der Führung des nun ermordeten Hassan Nasrallah, den der Westen als Schurken und Verbrecher betrachtet, zur Seite. Dank seiner politischen Entschlossenheit und Führungsstärke konnte Hisbollah 2014 Maalula – einen der wichtigsten Wallfahrtsorte für Christen weltweit – befreien und bewahren. Trotz schwerer Verluste gelang es, das zu retten, was die Militanten noch nicht hatten zerstören können. Auch die beinahe ein Jahr lang als Geiseln gehaltenen Nonnen wurden befreit.
In der Zwischenzeit machte Netanjahu keinen Hehl aus seiner Sympathie für die Terroristen der Jabhat Al-Nusra. Kämpfer dieser Gruppe, die über die Golanhöhen nach Israel kamen, wurden in Grenzkrankenhäusern kostenlos behandelt. Er besuchte sie sogar öffentlich, und die israelischen Medien berichteten ungezögert darüber.
Letztendlich zeigt diese Geschichte, wie leicht es für den Westen (und Israel als dessen Stellvertreter im Nahen Osten) heute ist, das Bild von Gut und Böse zu wechseln. In ihren Augen mag Nasrallah ein radikaler Anführer sein. In meinen Augen bleibt er jedoch ein Kommandant, der sich in einer besonders schwierigen Zeit für alle Christen stark gemacht hat.
Übersetzt aus dem Russischen.
Semjon Pegow ist russischer Militärkorrespondent und Gründer der Reporter-Gruppe WarGonzo.
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