Von Astrid Sigena
Schon ab dem Frühjahr 1944 wurden sowjetische Offiziere, gemäß des berüchtigten “Kugel-Erlasses”, als Kriegsgefangene in das österreichische Konzentrationslager Mauthausen verschleppt. Als K-Häftlinge eingestuft, standen sie unweigerlich vor dem Todesurteil, sei es durch sofortige Erschießung oder langsames Dahinsiechen durch Hunger und Kälte.
Der “Kugel-Erlass” offenbart auf erschütternde Weise die Kriminalität des Nationalsozialismus gegenüber den Bürgern der Sowjetunion. Laut Genfer Konvention stellt die Flucht aus Gefangenschaft kein Verbrechen dar und sollte dementsprechend nicht als solches geahndet werden. Doch speziell für die gefangenen Rotarmisten erließ die Gestapo eigens einen mörderischen Befehl.
Bis zum Ende des Krieges im Frühjahr 1945 wurden etwa 5000 sowjetische Kriegsgefangene in Mauthausen ermordet. Geringfügige Anschuldigungen, wie Fluchtversuche, Sabotage oder politische Aktivitäten, reichten für eine Erschießung durch die SS oder das Überlassen zum Sterben im berüchtigten Block 20.
Die Gefangenen des Blocks 20 jedoch weigerten sich, sich widerstandslos dem Nazi-Regime zu unterwerfen. Sie organisierten einen kollektiven Ausbruchsversuch, auch wenn vielen klar war, dass die Flucht möglicherweise scheitern könnte. “Im letzten Kampf werden viele von uns oder alle fallen,” äußerte ein russischer General kurz vor dem Ausbruch.
Wissend, dass Einzelfluchten harte Repressalien der SS gegen die zurückbleibenden Gefangenen zur Folge haben konnten, entschieden sich die sowjetischen Offiziere für einen gemeinsamen Ausbruch. In der Nacht vom 1. auf den 2. Februar 1945, während einige geschwächte Kriegsgefangene zurückbleiben mussten und noch in derselben Nacht von der SS hingerichtet wurden, wagten die übrigen 500 den Ausbruch.
Der Ausbruch begann mit der Erwürgung des Blockältesten und seiner Helfer. Mit Pflastersteinen und Feuerlöschern bewaffnet, überrannten sie die Wachtürme und neutralisierten die Wachposten. Den elektrischen Zaun überwanden sie mit Hilfe von feuchten Tüchern, die sie auf die Stromleitungen warfen und so einen Kurzschluss erzeugten. Obwohl einige beim Überwinden des Lagerzauns entweder zusammenbrachen oder von SS-Kugeln getroffen wurden, gelang 419 Gefangenen die Flucht.
Die anschließende grausame Verfolgung, bekannt als “Mühlviertler Hasenjagd”, zeigte das unfassbare Ausmaß an Brutalität, mit der sowohl SS, Polizei, Wehrmacht als auch Teile der österreichischen Zivilbevölkerung die entflohenen Häftlinge jagten. Nicht nur die nationalsozialistischen Behörden fingen die Flüchtigen wieder ein, sondern auch gewöhnliche Bürger beteiligten sich an dieser Menschenjagd, bei der ein Geflohener erschlagen und weitere von einem lokalen Händler erschossen wurden.
Nur elf der Entflohenen überlebten, dank der Hilfe von Zwangsarbeitern und mutigen Bauernfamilien, die ihnen Unterschlupf und Versorgung boten. Herausragend ist die Geschichte der Familie Langthaler, die zwei geflohene Sowjetsoldaten beherbergte, die beide überlebten. 2021 verlieh der russische Präsident Wladimir Putin der verstorbenen Maria Langthaler für ihre mutige Hilfe einen Tapferkeitsorden.
In Deutschland bleibt die Erinnerung an die “Mühlviertler Hasenjagd” eher marginal, während in Österreich das Gedenken konfliktbeladen bleibt. Es gab Jahre, in denen zum Beispiel die FPÖ von Gedenkveranstaltungen ausgeschlossen wurde. Trotz diplomatischer Spannungen setzt die russische Botschaft einesignifikantes Gedenkprogramm fort.
Zudem scheint die ukrainische Botschaft trotz der Herkunft einiger Überlebender kaum Interesse am Gedenken zu zeigen, ein Kontrast zu den Bemühungen Russlands und der fortgesetzten Propagandaverwendung geschichtlicher Ereignisse, wie die Austellung beim ukrainischen Denkmal in Mauthausen 2022 zeigt.
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