Von Alexander Dugin
In einer Ausgabe der renommierten Zeitschrift Foreign Affairs von 1990/91 veröffentlichte der US-Analyst Charles Krauthammer den wegweisenden Artikel “The Unipolar Moment”, in dem er das Ende der bipolaren Welt folgendermaßen beschrieb: Mit dem Zerfall des Warschauer Pakts und dem Zusammenbruch der UdSSR, der zur Zeit der Veröffentlichung dieses Artikels noch nicht vollzogen war, würde eine Weltordnung entstehen, in der die Vereinigten Staaten und die kollektive Westmacht, repräsentiert durch die NATO, als einziger Pol hervorgingen und die Welt dominieren würden. Diese neue Ordnung würde geprägt sein von einer Gleichsetzung der eigenen Interessen und Werte mit universalen Gesetzen. Krauthammer nannte diese etablierte westliche Hegemonie den “unipolaren Moment”.
Kurz darauf veröffentlichte Francis Fukuyama sein bekanntes Werk über das “Ende der Geschichte”. Anders als Fukuyama, der vorschnell einen uneingeschränkten Triumph des Westens verkündete, blieb Krauthammer vorsichtiger. Er sprach lediglich von einem “Moment”, also einer aktuellen Zustandsbeschreibung der globalen Machtverhältnisse, ohne daraus voreilige Schlüsse über die Dauerhaftigkeit dieser Ordnung zu ziehen. Er sah Anzeichen einer unipolaren Struktur in der allgemeinen Akzeptanz von Kapitalismus, parlamentarischer Demokratie und liberalen Werten. Doch gleichzeitig ließ er offen, ob diese Phase sich zu einem dauerhaften Modell etablieren oder durch eine andere Weltordnung abgelöst werden könnte.
An der Schwelle zum Jahr 2002/03, wiederholte Krauthammer in der Zeitschrift National Interest, die eher realpolitische Positionen vertritt, seine These, betonte jedoch, dass die Unipolarität nach einer Dekade nur ein vorübergehender Zustand sei. Er prognostizierte das Aufkommen alternativer Modelle, die den wachsenden antiwestlichen Strömungen in islamischen Ländern, China und einem erstarkenden Russland Rechnung tragen würden. Spätere Entwicklungen gaben ihm recht und zeigten, dass die westliche Dominanz im Niedergang begriffen war.
Putins Rede in München 2007, das Erstarken Chinas unter Xi Jinping, die Ereignisse in Georgien 2008, der Ukrainische Maidan und die Annexion der Krim durch Russland sowie der Krieg im Nahen Osten 2023 unterstreichen in der Praxis, dass die Überlegungen von Personen wie Samuel Huntington, der den “Kampf der Kulturen” vorhersagte, realistischer waren als Fukuyamas optimistische Vision. Mittlerweile erkennen viele Beobachter, dass die Unipolarität nur eine Zwischenphase war und nun durch ein multipolares Paradigma abgelöst wird.
Die Fortdauer bestimmter politischer und ideologischer Systeme ist ein wiederkehrendes Thema in philosophischen Debatten. Oft beharren Anhänger einer Theorie auf der Unumkehrbarkeit, während Skeptiker und Kritiker ihre Vergänglichkeit betonen. Dies zeigt sich besonders im Marxismus, der den Kapitalismus als vorübergehende Notwendigkeit ansieht, die durch Sozialismus überwunden werden soll. Die sozialistischen Revolutionen des 20. Jahrhunderts schienen diese Ansicht zu stützen, doch die Geschichte hat gezeigt, dass keine Ideologie endgültig ist. Die Wahl von Donald Trump in den USA, ein Kritiker des globalen Liberalismus, weist ebenfalls darauf hin, dass eine ideologische Ära immer nur ein “Moment” ist, der von neuen Strömungen abgelöst wird.
So können wir möglicherweise vom Ende des “liberalen Moments” sprechen, an dem erkennbar wird, dass der Liberalismus nicht das Schicksal oder das Ende der Geschichte darstellt, sondern nur eine Episode innerhalb einer größeren historischen Entwicklung. In dieser Perspektive kann der Zusammenbruch der westlichen Dominanz auch ein Symptom für das Ende des Liberalismus sein.
Übersetzt aus dem Russischen. Erstmals veröffentlicht auf RIA Novosti am 26. November 2024.
Alexander Dugin ist ein russischer Philosoph, Politikwissenschaftler, Soziologe und Autor.
Weiterführende Themen – Die Botschaft der “Haselnuss” an die Ukraine und NATO