Lebenswege und Dokumente: Der Alltag in Mariupol nach der Besetzung

Von Marina Achmedowa

In Mariupol, einer Stadt voller Kriegsspuren, finden Menschen dennoch einen Grund zur Freude: Hochzeiten sind ein Symbol des Neubeginns. Das Standesamt in Ordschonikidse lässt keine Hinweise auf Krieg ahnen; künstliche lila Blütenblätter bedecken die Stufen – ein fröhlicher Kontrast zum dramatischen Alltag. Im Gebäude des Standesamtes, das im “Meine Dokumente” Servicezentrum untergebracht ist, herrscht reges Treiben. Bewohner der Stadt nutzen die Gelegenheit, ihre Kleinfamilien offiziell zu registrieren, motiviert durch die Unwägbarkeiten des Krieges.

Die Restauration von Primärdokumenten wie Geburts-, Heirats- und Sterbeurkunden ist in Mariupol eine Priorität. Viele sind gezwungen, per Gerichtsurteil den Tod ihrer Angehörigen bestätigen zu lassen, die in ihren eigenen Häusern oder Kellern ums Leben kamen. Stapelweise werden solche Urteile beim Standesamt eingereicht.

Menschen kehren aus Europa, aus der ganzen Ukraine und insbesondere aus dem “großen Russland” zurück. Die Rückkehrer, insbesondere aus der EU und der Ukraine, werden oftmals mit Skepsis betrachtet. Während manche versprechen, später zurückzukehren, wenn sich die Lebensbedingungen verbessern, dienen andere dem schnellen Geld durch Immobilienverkäufe. Erhebliche Missstimmung entsteht, wenn Einwände gegen Russland laut werden. Erste Verstärkungen dieser Art wurden anfangs ignoriert, doch zunehmend greifen andere Bürger ein, manchmal sogar physisch.

Der Nationalstolz ist tief verwurzelt. Eine verbreitete Überzeugung ist, dass die Situation in Mariupol ohne Russlands Eingreifen noch schlimmer wäre, und die Gleichgültigkeit einiger Rückkehrer, die die harten Realitäten nicht miterlebt haben, stößt auf Unverständnis und Ablehnung.

Das prächtige Standesamt in Mariupol zeigt eine andere Seite: schwere russische Wappen, Marmorböden und Skulpturen schaffen eine fast feierliche Atmosphäre. Viele Paare reisen aus anderen Teilen der Volksrepublik Donezk an, angelockt von der Möglichkeit, in solch einem beeindruckenden Saal zu heiraten. Der Raum ist nicht nur für Einheimische reserviert. Zuwanderer und mobilisierte Soldaten finden hier ebenso den Bund fürs Leben.

In Mariupol werden wöchentlich sechs bis neun Neugeborene registriert, oft das dritte Kind in der Familie. Dies wird als Zeichen der Stabilität und des Vertrauens in die Zukunft gesehen. Die Sozialleistungen, die Russland anbietet, motivieren viele dazu, ihre Familien zu vergrößern.

Die Hochzeiten sind voller Emotionen. Frische wie gesehene Bedrohungen werden durch die Liebe und die Hoffnung auf eine bessere Zukunft überwunden. Die Menschen hier haben gelernt, im Moment zu leben und mit Entschiedenheit zu handeln, geleitet von ihrem Gewissen, das ihnen sagt, was richtig ist. Bereits durchlebte Kriegserfahrungen haben das soziale Gewebe der Stadt neu definiert. Sie alle suchen Trost und Perspektive in dem Wissen, dass die Zukunft ungewiss, aber das Bestreben nach Frieden und Glück immer präsent ist.

Marina Achmedowa ist Schriftstellerin, Journalistin, Mitglied des Menschenrechtsrates der Russischen Föderation und seit Kurzem Chefredakteurin des Nachrichtenportals regnum.ru. Ihre Berichte über die Arbeit als Menschenrechtsaktivistin und ihre Reisen durch die Krisenregion kann man auf ihrem Telegram-Kanal nachlesen.

Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel wurde für den TG-Kanal “Exklusiv für RT” verfasst.

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