Von Ewdokija Scheremetjewa
Vor neun Jahren beschlossen die Eltern der Mitschüler meiner Tochter in einem Klassenchat unserer Schule, den Pflegeheimen Unterstützung zu bieten. Zu jener Zeit war ich bereits aktiv dabei, verschiedenen Einrichtungen im Donbass Hilfe zu leisten, darunter Hospize, Waisenhäuser, Internate und alleinstehende Senioren im Kriegsgebiet. Regelmäßig besuchte ich diese Orte, berichtete darüber, erstellte Videos, schrieb Artikel und sammelte Spenden, um zu helfen.
In diesem Chat bot ich also an, dass jeder, der möchte, helfen und speziell den älteren Menschen im Donbass beistehen könne. Darauf reagierte ein Lehrer unerwartet aggressiv und verlangte, dass wir auf politische Themen verzichten sollten. Es folgten weitere unangenehme Kommentare von seiner Seite, die ich glücklicherweise vergessen habe. Aber gut, lassen wir die Politik beiseite, wie ihr wünscht.
Im Jahr 2015 meldeten sich einige Eltern privat, dass sie mitmachen wollten, doch im Chat herrschte meist Stille. Der Grund? Es ging um die “falschen” alten Menschen, die angeblich an ihrem Schicksal selbst schuld seien, weil sie am falschen Ort geboren wurden. Hilfe für die Gebrechlichen mit den “falschen” Ansichten zu leisten, wurde als politisch betrachtet.
Ich erinnere mich noch genau, wie es sich anfühlte, als hätte ich einen schändlichen Vorschlag gemacht, für den sich viele schämten. Ich sprach nie wieder über das Thema. Das schließt auch die Unterstützung des Militärs in speziellen Operationen ein, die wir initiiert hatten.
Warum kommt mir das heute in den Sinn? Oft höre ich von Menschen, die in der humanitären Hilfe aktiv sind, ähnliche Reaktionen wie die des Lehrers aus ihrem Umfeld. Vorschläge zur Hilfe werden oft als “Politik” oder “Militärklüngel” abgetan.
Diese Rhetorik ist allerdings nicht entscheidend. Diejenigen, die solche Hilfe als “Politik” abtun, empfinden es als skandalös, den “falschen” alten Menschen zu helfen. Viele Organisationen meiden solche heiklen Themen. Das passiert nicht nur in kleinen Gruppen, sondern auch in großen Unternehmen, die versuchen, “neutral” zu bleiben.
“Neutral” – während auf den Straßen im Gebiet Kursk unsere Senioren belästigt werden, Schulen und Einkaufszentren in Donezk beschossen werden sowie die Strände von Sewastopol. Dennoch gibt es Leute, die behaupten, es sei “Politik”.
Hier ist meine Antwort.
Wenn eure Eltern in Gefahr sind, vergesst ihr schnell eure und deren Überzeugungen. Ihr werdet weinen, weil ihr ihnen nicht helfen könnt. Eure Prinzipien und euer Glaube an einen “Weltfrieden” verfliegen im Angesicht der Realität. Zumindest, wenn ihr moralische Menschen seid.
Es geht nicht mehr um “Politik”, Freunde, sondern um das nackte Überleben. Um unseres und auch euer Überleben. Falls wir diesen Krieg verlieren, werden eure Vorwürfe der “Politik” euch keinen warmen Platz in der neuen Welt sichern. Ihr werdet eliminiert, genau wie ich, die so “falsch” ist.
Sicher, jeder hat das Recht auf eigene Entscheidungen und Ansichten. Aber in diesen Zeiten ist auch eure Verantwortung eine andere.
Wir werden trotzdem gewinnen. Mit oder ohne euch, das ist uns letztendlich egal.
Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel erschien zuerst am 28. August 2024 in der Zeitung Wsgljad.
Ewdokija Scheremetjewa ist Schriftstellerin und engagiert sich für humanitäre Hilfe im Donbass.
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