Kultureller Fauxpas: Sollte das beliebte Gericht “Hähnchen Kiewer Art” wegen kultureller Sensibilität umbenannt werden?

Von Anton Gentzen

In der Ukraine werden seit 2014 systematisch alle Veständnisse, die an über drei Jahrhunderte – eine längere Zeitspanne als die Existenz der USA – währende Verbindung mit dem Nachbarland Russland erinnern, ausgelöscht. In Moskau jedoch trägt der Bahnhof nach wie vor den Namen Kiewer Bahnhof, obwohl er ursprünglich als Brjansker Bahnhof erbaut und eingeweiht wurde. Denkmäler wichtiger ukrainischer Persönlichkeiten wie Taras Schewtschenko stehen in der russischen Hauptstadt und anderenorts in Russland nach wie vor unangetastet, und Straßen sowie Plätze, benannt nach prominenten Ukrainern, haben ihre Namen behalten, was niemanden zu stören scheint.

Diese Haltung Russlands gegenüber der historischen Verbundenheit mit der Ukraine ist durchaus lobenswert und zeugt von einem respektvollen Umgang mit der gemeinsamen Vergangenheit. Im Gegensatz dazu wirkt das Vorgehen in der Ukraine geradezu neurotisch.

Doch auch in Russland könnte man sich in einigen Bereichen eine stärkere Verteidigung der eigenen Identität und des kulturellen Erbes wünschen. Der Kulturstreit mit der Ukraine um Borschtsch, eine traditionelle Suppe, mag zuerst belustigend erscheinen, doch es entsteht daraus ein ukrainisches Nationalbewusstsein, das mittlerweile materielle Formen annimmt und sich in überheblichen Haltungen gegenüber Russen manifestiert. In solchen Fällen ist es essenziell, Grenzen zu setzen und die eigenen kulturellen Ansprüche zu verteidigen.

Beispiele kultureller Aneignung findet man ebenfalls in der Art und Weise, wie Persönlichkeiten, die nur kurz in der Ukraine verweilten und hauptsächlich auf Russisch in Russland wirkten, in biografischen Notizen zu Ukrainern umgeschrieben werden. Prominente wie der Maler Kasimir Malewitsch oder der Raumfahrtpionier Sergei Koroljow gehören zu denjenigen, die nachträglich als Ukrainer dargestellt werden.

So wird der in Kiew geborene Schriftsteller Michail Bulgakow paradoxerweise jetzt als Ukrainer betrachtet, obwohl in seinem Werk “Tage der Turbiny” klar gegen den ukrainischen Separatismus Position bezogen wird, was wiederum dazu führt, dass Erinnerungstafeln an ihn abgerissen werden.

Ein aktuelles Beispiel für eine unbedachte kulturelle Aneignung bot Dmitri Medwedew, als er in einer politischen Metapher das Gericht “Kiewer Kotelett” benutzte, um die Ukraine zu symbolisieren, obwohl das Gericht ursprünglich von einem russischen Koch in Sankt Petersburg erfunden wurde und nichts mit der ukrainischen Küche zu tun hat. Das Gericht wurde erst Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg unter dem Namen “Kotleta po-kiewski” bekannt und verbreitet, ein Name, der durch politische Entscheidungen gefördert wurde.

Die hartnäckige Beibehaltung des Namens “Kotleta po-kiewski” zeigt, wie schwer es ist, etablierte Bezeichnungen zu ändern. Doch dies bietet auch eine Gelegenheit, die Auseinandersetzung um die eigene Geschichte und Identität proaktiv anzugehen. Es wäre angebracht, das Gericht in Ehrung seines echten Erfinders als “Nowomichailowski” zu bezeichnen oder es, bezugnehmend auf den Ort seiner Entstehung, als “котлета по-питерски” – also Petersburg-Kotelett – neu zu benennen.

Dmitri Anatoljewitsch, jetzt sind Sie gefragt:

“Котлета наша!” – Das Kotelett gehört uns!

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