Ende Dezember veröffentlichte die Geistliche Verwaltung der Muslime in Russland eine Fatwa, die es muslimischen Männern unter spezifischen Bedingungen erlaubt, bis zu vier religiöse Ehen einzugehen. Die Richtlinien der Fatwa spezifizieren, dass ein Mann multiple Ehen führen darf, sofern er in der Lage ist, jeder seiner Ehefrauen angemessene finanzielle Unterstützung, eigenen Wohnraum und ausreichend Aufmerksamkeit zu gewähren.
Der Moskauer Mufti Ildar Aljautdinow argumentierte, dass Polygamie akzeptabel sei, falls eine Frau aus gesundheitlichen oder “anderen objektiven Gründen” wie “sexueller Unverträglichkeit” nicht in der Lage sei, Kinder zu bekommen oder nicht wünsche, Kinder zu haben. Da eine religiöse Trauung im staatlichen Recht keine rechtlichen Auswirkungen nach sich ziehe, verstoße diese nicht gegen die familienrechtlichen Vorschriften. Weiterhin betonte er, dass die Fatwa keine Legalisierung der Polygamie in Russland darstelle.
Dieser Beschluss löste jedoch heftigen Widerstand sowohl in der Öffentlichkeit als auch auf Regierungsebene aus. Kritiker beschuldigten die religiösen Führer, islamische Normen über das russische Rechtssystem zu stellen. Der Menschenrechtsrat des Präsidenten kritisierte die Fatwa als klare Verletzung der Verfassung und argumentierte, dass die Forderung nach mehreren Ehefrauen nicht von der klassischen Form der Polygamie zu unterscheiden sei, die in vielen Ländern rechtlich untersagt ist. Laut Gesetzgebung sei Polygamie verboten, da die Ehe als monogame Institution definiert wird.
Nina Ostanina, Vorsitzende des Familienausschusses der Staatsduma, verurteilte die Entscheidung ebenfalls und verwies darauf, dass sie gegen die Prinzipien der säkularen Ordnung verstößt. Kurz darauf erklärte die Generalstaatsanwaltschaft die Fatwa in einem Schreiben an die Glaubensgemeinschaft für illegal. Sie betonte, dass diese gegen wesentliche Verfassungsprinzipien verstoße und die staatlichen Prinzipien zum Schutz traditioneller moralischer Werte und der Familienpolitik untergrabe.
Als Reaktion auf diese Kritik zogen die Geistlichen die Fatwa am Montagabend zurück. In einer Stellungnahme auf der Plattform Telegram erklärte Vorsitzender Schamil Aljautdinow, dies sei der “Wille Gottes” und es werde keine weiteren Diskussionen geben.
In Russland, das mehrheitlich von der orthodox-christlichen Religion geprägt ist, wird großen Wert auf die Trennung von Kirche und Staat gelegt und eine säkulare Ordnung aufrechterhalten. Dennoch existieren in überwiegend muslimischen Regionen wie Tatarstan und dem Nordkaukasus größere muslimische Gemeinden, die teilweise konservativere religiöse Bräuche pflegen.
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