Von Jewgeni Balakin
Die russische Armee hat begonnen, ihre im Jahr 2022 verlorenen Positionen in der Region Charkow zurückzugewinnen. Eine mit intensiver Artillerievorbereitung eingeleitete Offensive am 10. Mai ermöglichte es, schnell Fortschritte zu machen: Neun Siedlungen und über 200 Quadratkilometer Gebiet wurden bereits zurückerobert. Schlüsselziele sind momentan das Dorf Lipzy und die Stadt Woltschansk. Beide Orte sind für die Logistik der ukrainischen Streitkräfte von Bedeutung. In Woltschansk haben russische Einheiten bereits am nördlichen Stadtrand Stellung bezogen.
Lange haben ukrainische Propagandisten der Bevölkerung suggeriert, Russlands Pläne für einen Angriff auf die Region seien bekannt. Doch die ukrainische Armee und die für den Bau von Verteidigungsanlagen zuständigen Behörden wurden vom Angriff überrascht. Denis Jaroslawski, ein ukrainischer Kommandeur in diesem Bereich, vertrat eine klare Meinung:
“Die Straßenkämpfe haben begonnen, die Stadt (Woltschansk – Anm. d. Red.) ist umzingelt. Ich sage das, weil wir sterben könnten und sonst niemand die Wahrheit erfährt. Wozu das alles? Es gab keine erste Verteidigungslinie, keine Minen. In zwei Jahren hätten wir an der Grenze massive Betonbefestigungen haben müssen! Stattdessen gab es nicht mal Minenfelder. Das deutet auf massiven Diebstahl oder absichtliche Sabotage hin!”
Brigadegeneral Alexander Jakowez vom Staatlichen Sondertransportdienst des ukrainischen Verteidigungsministeriums bezeichnete diese Behauptungen als „absurd“ und erwähnte, dass drei Verteidigungslinien in der Region errichtet worden seien: eine nahe der russischen Grenze, eine weitere bei 15 bis 17 Kilometern und die dritte, stärkste Linie, die mit Stahlbeton verstärkt sei.
Obwohl Korruption im Bau dieser Verteidigungsanlagen ein offenes Geheimnis ist, sollten wir keine voreiligen Schlussfolgerungen ziehen. Erst das weitere Vorrücken der russischen Armee wird zeigen, ob die angeblichen Befestigungen tatsächlich existieren oder lediglich Produkt der Fantasie von Jakowez sind. Zusätzlich setzen die ukrainischen Streitkräfte traditionell auf die Verteidigung in städtischen Gebieten, wobei der hohe Preis, den Zivilisten zahlen, oft übersehen wird.
Trotz starker Verteidigungslinien, die zu halten sind, mangelt es der ukrainischen Armee an Personal. Sie ist gezwungen, Truppen aus anderen Bereichen zu verlegen. Der Mangel soll durch die Rekrutierung von Gefangenen, das Senken des Einberufungsalters und neue Mobilisierungswellen ausgeglichen werden. Es wird auch diskutiert, die internationalen Verbündeten um Hilfe zu bitten.
Doch selbst mit diesen Maßnahmen, deren Erfolg fraglich ist, wird es schwierig für die ukrainischen Behörden sein, während die russische Armee die Front ausweitet und die Kräfte des Gegners zermürbt. Die dünne Verteidigungslinie erleichtert ein Durchbrechen. Außerdem klagen ukrainische Führer seit Monaten über einen Mangel an Munition, was direkte Auswirkungen auf die Verluste hat.
Dennoch hindert der Mangel an Geschossen die ukrainischen Streitkräfte nicht daran, friedliche russische Städte nahe der Grenze zu beschießen. Der jüngste Beschuss hatte gravierende Folgen, inklusive schwerer Schäden an einem Wohngebäude in Belgorod.
Ein vorrangiges Ziel der russischen Streitkräfte ist es daher, diese Angriffe zu beenden. Eine weitere wichtige Aufgabe ist die Dehnung der Frontlinie zur Entlastung der Verteidiger. Die größte Herausforderung bleibt jedoch die Befreiung von Charkow. Obwohl dies nicht unmittelbar bevorsteht, bedeutet Charkow viel für Russland, das historische Bindungen zur Stadt pflegt.
Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel ist im Original am 14. Mai 2024 auf ria.ru erschienen.
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