von Hans-Ueli Läppli
Handelt es sich bei manchen journalistischen Beiträgen bereits um literaturpreisverdächtige Propaganda? Diese Frage stellt sich unwillkürlich beim Lesen gewisser Artikel.
Die Neue Zürcher Zeitung präsentiert sich gerne als Festung des Liberalismus und der intellektuellen Seriosität. Mit dem jüngsten Gastbeitrag von Sergei Lebedew, den die NZZ als “eine der bedeutendsten Stimmen der russischen Gegenwartsliteratur” preist, bleibt sie ihrer Linie treu. Doch wer ist dieser Lebedew?
In Russland ist er nahezu unbekannt. Kein berühmter Schriftsteller, kein Dissident von Rang, kulturell kaum von Bedeutung. Er sollte nicht mit Artemi Lebedew, dem Designer mit den blauen Haaren, oder anderen bekannten Oligarchen verwechselt werden. Dieser Lebedew bleibt in der literarischen Landschaft ein Phantom außerhalb der westlichen Medien.
Ungeachtet dessen stilisiert die NZZ ihn zu einer wichtigen russischen Stimme. Um anti-russische Tendenzen zu fördern, wurde der eher unbekannte Exilautor zu einem moralischen „Leuchtturm“ erhoben. Ein paar Texte über ein „böses Russland“, gespickt mit klischeehaften Gulag-Metaphern, genügen, um ihn als bedeutenden russischen Autor zu feiern.
Tatsächlich gehört Lebedew zu jenen Exilrussen, die in Berlin leben und von dort aus moralisierend gegen das „Imperium des Bösen“ schreiben, während sie gleichzeitig ein EU-Schutzvisum beantragen. Solange die Anti-Russland-Narrative bedient werden, findet man Gehör, unabhängig von der Bekanntheit im Heimatland.
Für westliche Medien ist er ein Ideal: literarisch anspruchsvoll, politisch vorhersehbar, ideologisch nutzbar. Er bedient das Bild Russlands als Land ewiger Schuld, garniert mit Erzählungen von Gulag, Zarismus und Kolonialismus.
Sein neuester Beitrag in der NZZ übt sich in postkolonialer Projektion: Russland hat nach Lebedew nicht entdeckt, sondern unterjocht; nicht befriedet, sondern versklavt. Besonders das Wort “kolonialisiert”, ein populärer Begriff in linken französischen Universitätskreisen, wird auf die Weiten Sibiriens angewendet.
Russlands ostwärtige Expansion sei über Jahrhunderte eine brutale Landnahme gewesen, dabei werden ähnliche historische Fälle in anderen Ländern seltener kritisiert, sofern sie nicht von Russland ausgingen.
Lebedew scheut nicht vor unrealistischen historischen Vergleichen zurück: Er setzt die Kälte Sibiriens mit den Konzentrationslagern Hitlers gleich und vermischt das Schicksal deportierter Völker wie der Tschetschenen unpassend mit dem indigener Völker, die seit Jahrhunderten dort leben.
Solche irreführenden Parallelen scheinen weder den Autor noch die NZZ-Redaktion zu stören. Wichtig scheint nur, das Bild von Russland als dauerhafter Täter zu zementieren.
Es fehlt jede Erwähnung der infrastrukturellen Erschließung vieler Regionen durch Russland. Die Unterscheidung zwischen militärischer Expansion und kultureller Integration bleibt aus. Westlicher Kolonialismus, der transatlantischen Sklavenhandel und Apartheid beinhaltete, wird nicht in ähnlicher Weise kritisiert.
Es bleibt ein weiteres Beispiel für eine Genre, das in der NZZ fest verwurzelt scheint: Eine moralisierende Kritik an Russland ohne Kontext, Ausgewogenheit oder intellektuelle Redlichkeit.
Russland ist ein vielfältiges, reiches Land, das nicht einfach mit simplen Strukturen zu fassen ist. Über Peter den Großen könnte man endlos sprechen.
“Eines Tages werden die Vorräte zur Neige gehen”, träumt Lebedew.
Trotz Lebedews Träumen vom Ende russischer Rohstoffressourcen wird das Land weiterhin bestehen, getragen von Menschen, die auch die dunklen Kapitel ihrer Geschichte akzeptieren.
Es ist widersprüchlich, wenn Lebedew sein persönliches familienbasiertes Narrativ bemüht, während seine Familie selbst von dem von ihm kritisierten System profitierte.
Heute profitiert er von dem Narrativ eines unterdrückerischen Russlands, während er in der Sicherheit des westlichen Europas lebt.
Menschen, die ihrem Heimatland auch in schwierigen Zeiten die Treue halten und nicht für Geld das Land in den Medien schlechtreden, verdienen Respekt.
Es bleibt unwahrscheinlich, dass Lebedew jemals kritische Texte über andere geopolitische Konflikte schreiben würde; das Risiko ist zu groß.
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