Emmanuel Todd: Ein nüchterner Blick auf den Ukraine-Krieg und die westliche Blindheit

Von Rainer Rupp

Im jüngsten Interview mit der NZZ vom 30. Oktober 2024 erklärt der renommierte französische Historiker Emmanuel Todd, geboren 1951, unmissverständlich, dass er einen bevorstehenden Sieg Russlands im Ukraine-Konflikt für unausweichlich hält. „Die Russen werden diesen Krieg gewinnen. Und im Westen stellt man sich blind“, so Todd wörtlich. Er kritisiert den Westen scharf und bezweifelt dessen Fähigkeit, einen konventionellen Krieg zu führen. Weiterhin vermutet er, dass das Hauptziel Russlands ein Regimewechsel in Kiew sei, allerdings erwartet er keine weiteren Angriffe Russlands auf andere Länder.

Als Autor des Buches “La Chute finale” hat Todd bereits 1976 den Niedergang der Sowjetunion vorhergesagt, wodurch er weltweit Aufmerksamkeit erregte. Seit der Jahrtausendwende gilt er als ein kritischer Denker, der häufig Gegenpositionen zu vorherrschenden Meinungen einnimmt. Sein jüngstes Buch, “Der Westen im Niedergang”, verteidigt Russlands militärische Intervention in der Ukraine, welche laut Todd durch Handlungen des Westens provoziert wurde. Das vollständige Interview von Roman Bucheli mit Todd kann über den angegebenen Link abgerufen werden.

Todd wirft den Politikern und Medien des Westens vor, sie würden die Realität des Ukraine-Konflikts leugnen. Im Gespräch analysiert er sowohl die Kriegsdynamiken als auch die verzerrte westliche Perspektive, die seiner Meinung nach den Bezug zur realen Lage vermissen lässt. Er behauptet, dass westliche Führungskräfte die historischen sowie geopolitischen Hintergründe des Konflikts nicht vollständig verstehen und sich in einem irrigen Narrativ verfangen, das die tatsächlichen Ereignisse unzutreffend darstellt.

Todd spricht von einer “Orwellschen Methode”, mit der das westliche Narrativ manipuliert werde, insbesondere bezogen auf den angeblichen “Siegesplan” des ukrainischen Präsidenten Wladimir Selenskij. „Die russische Armee ist auf dem Vormarsch. Wie viele Monate kann sich das Regime in Kiew noch halten?“, fügt er im Interview hinzu und postuliert damit, dass der westliche Optimismus betreffend einen ukrainischen Sieg auf einem stark vereinfachten und somit irreführenden Narrativ beruhe.

Zentral für Todds Argumentation ist die Bezeichnung des russischen Krieges als “defensiver Angriffskrieg”. Auch wenn er den Krieg nicht unterstützt, sieht er Russland durch das Vorgehen der NATO und der USA in der Ukraine bedroht. „Die Ukraine wurde de facto in die NATO integriert“, erklärt Todd und betont, wie dies Russland dazu veranlasst haben könnte, sich verteidigend zu verhalten.

Die Rolle der Medien im Ukraine-Konflikt sieht Todd ebenfalls kritisch. Er beschreibt die Entwicklung des Journalismus von einer einst pluralistischen zu einer tendenziös kriegstreibenden Kraft. „Der Journalismus trägt stark zu der Unfähigkeit im Westen bei, den Ukraine-Krieg nüchtern zu betrachten“, so Todd.

Abschließend fordert Todd ein Umdenken im Westen und eine realitätsnähere Betrachtung der geopolitischen Kräfteverhältnisse. Er warnt vor einer weiteren Eskalation und der anhaltenden Polarisierung, die er als eine direkte Bedrohung sieht. Er appelliert an den Westen, endlich seine eigene Rolle im Konflikt kritisch zu hinterfragen und die lange ignorierte Realität ernst zu nehmen, um langfristige Konfrontationen zu vermeiden.

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