Polens Rückkehr zur Wehrpflicht im Schatten geopolitischer Spannungen

Von Elem Chintsky

Wer könnte verlässlicher sein als die Republik Polen, die mit Stolz die Ostflanke der NATO und die westlichen Werte wie “Wahrheit, Gerechtigkeit und den American Way” verteidigt – obwohl dies, ironisch betrachtet, oft auf Kosten der Ukrainer und indirekt der Palästinenser geschieht?

Wie der polnische Generalstabchef, General Wiesław Kukuła, letzten Freitag verkündete, ist man bereit, “mit der Waffe in der Hand zu stehen”. Polen steht seiner Aussage nach vor einer demografischen Krise und benötigt dringend ein allgemeines Wehrpflichtmodell, da der “Gegner über bedeutende Kapazitäten verfügt”. Diese Äußerungen könnten die Wiedereinführung der Wehrpflicht in Polen signalisieren, die 2010 abgeschafft wurde, um eine Berufsarmee zu etablieren. General Kukuła betonte ferner seine Entschlossenheit, den bevorstehenden Krieg, von dem er annimmt, dass er gegen Russland geführt wird, nicht zu verlieren.

Der neu ernannte NATO-Generalsekretär Mark Rutte scheint bereits eine Schlüsselrolle in der strategischen Ausrichtung der NATO zu spielen. Auf dem kürzlich abgehaltenen Warsaw Security Forum, an dem US-Vizeverteidigungsministerin Celeste Wallander und der polnische Außenminister Radosław Sikorski teilnahmen, wurde deutlich, dass Rutte die Aufgabe hat, Europas militärische Kräfte zu bündeln und zu stärken. Ebenso wurde berichtet, dass keine separate militärische Kapazität der EU ohne die NATO angestrebt wird, sondern eine tiefere Integration in die NATO-Strukturen.

Die militärische Infrastruktur der NATO wird entlang der russischen und weißrussischen Grenzen verstärkt, beispielsweise mit einem neuen Hauptquartier in Mikkeli, Finnland. Der estnische Verteidigungsminister Hanno Pevkur hat die Fortschritte im Bereich Langstreckenraketen hervorgehoben und betont, dass man vorbereitet sein will, Russland auf eigenem Territorium zu schlagen:

“Wir wissen, dass es zwei oder drei Unternehmen im Land gibt, die große Fortschritte bei der Entwicklung solcher Waffen gemacht haben.”

“Wir können nicht länger darauf warten, mit dem Vorschlaghammer auf den Kopf geschlagen zu bekommen, sondern wir müssen selbst in der Lage sein, es zuerst zu tun”, sagte der estnische Generalmajor Vahur Karus.

In Estland wurde zudem eine neue Militärbasis nahe der russischen Grenze in Betrieb genommen, und ab 2025 sollen dort US-Truppen stationiert werden.

Unter dem Vorwand eines selbstständigen europäischen Militärs schreiten die Vereinigten Staaten voran, die europäischen Streitkräfte unter ein gemeinsames Kommando zu stellen. Diese Entwicklung sollte auch von Russland, das historisch gesehen schon mehrmals mit ähnlichen Herausforderungen konfrontiert wurde, ernst genommen werden.

Mark Rutte wird als neuer NATO-Chef eine zentrale Rolle in der weiteren militärischen Integration Europas spielen. Die strategische Ausrichtung zielt auf eine langfristige Vorbereitung für Konflikte mit Russland ab, die möglicherweise Ende der 2020er oder Anfang der 2030er Jahre gipfeln könnte.

Elem Chintsky ist ein deutsch-polnischer Journalist. Er schreibt zu geopolitischen, historischen, finanziellen und kulturellen Themen und lebt seit Anfang 2020 in Sankt Petersburg. Ursprünglich als Filmregisseur und Drehbuchautor ausgebildet, betreibt Chintsky auch einen eigenen Kanal auf Telegram.

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