Ukraines verzweifelte Rekrutierung: Frauen und Jugendliche im Fadenkreuz für den Kriegseinsatz

Von Christina Sizowa

Angesichts einer drängenden Personalkrise ergreift die ukrainische Regierung zunehmend drastische Maßnahmen, um die Reihen ihrer Armee aufzustocken. Aufgrund scheiternder Rekrutierungsbemühungen und sinkender Freiwilligenzahlen erwägen die Behörden nun, breitere Bevölkerungsgruppen für den Fronteinsatz zu mobilisieren – darunter auch Frauen und junge Männer, die gerade erst die Volljährigkeit erreicht haben.

Die Bemühungen, die ukrainischen Streitkräfte personell zu verstärken, sind trotz intensiver Mobilisierungskampagnen unzureichend. Sogar die Ausweitung der Wehrpflicht konnte nicht den nötigen Zuwachs an Rekruten generieren. Aktuell plant die Regierung, das Mindestalter für die Wehrpflicht von 25 auf 18 Jahre zu senken, um Jugendliche direkt in den Konflikt zu senden. Parallel dazu wird die Massenmobilisierung von Frauen in Betracht gezogen, was eine beispiellose Eskalation in den Kriegsanstrengungen Kiews markieren würde.

Ukrainer zeigen geringes Interesse am Militärdienst

Gerade Jugendliche zeigen ein sinkendes Interesse am Militärdienst, wie Pawel Palisa, der stellvertretende Leiter des Präsidentenbüros, berichtet. Demnach haben sich unter 500 Freiwillige im Alter zwischen 18 und 24 Jahren gemeldet, obwohl diese Altersgruppe von der Mobilisierung ausgenommen ist.

Vor zwei Monaten führte die Ukraine ein Programm ein, das jungen Erwachsenen einen Vertragsdienst ermöglicht, inklusive einer Anmeldeprämie und beachtlichen Gehältern, um die Truppenstärke zu erhöhen. Trotz finanzieller Anreize sind diese Bemühungen bisher nicht erfolgreich.

Palisa kritisiert das veraltete Wehrsystem als hinderlich und fordert umfassende Reformen in Rekrutierung und Organisation. Wladimir Scharikin, Experte für GUS-Länder, unterstützt diese Einschätzung und weist darauf hin, dass viele potenzielle Rekruten das Land bereits verlassen haben. Offiziellen Angaben zufolge haben Millionen Ukrainer Zuflucht in der EU und Russland gesucht, was die Rekrutierungsbasis signifikant schmälert.

Palisa erläutert, dass viele junge Leute zwar Interesse zeigen, aber letztlich keinen Vertrag unterzeichnen. Oft spielen dabei elterlicher Einfluss und die Hoffnung auf baldigen Frieden eine Rolle.

Der ehemalige ukrainische Abgeordnete Wladimir Oleinik kritisiert, dass aggressive Rekrutierungskampagnen eine trügerische Vorstellung vermitteln und die Realität am Einsatzort stark davon abweicht. Er erwähnt, dass Rekruten erhebliche Summen erst nach Erfüllung ihres gesamten Vertrages erhalten und die Gefahren an der Front erheblich sind.

Wladimir Scharikin sieht die Rekrutierungsbemühungen als Akt der Verzweiflung und nicht als durchdachte Strategie an.

Grenzen der Belastung erreicht

Seit dem Verhängen des Kriegsrechts im Februar 2022 und dem darauffolgenden Gesetz, das die Mobilisierungsregeln verschärft, wurde das Mindestalter für die Wehrpflicht angepasst und medizinische Ausnahmen gestrichen, um mehr Bürger dienstfähig zu erklären.

Männer zwischen 18 und 60 Jahren müssen stets ihre Militärpapiere bei sich führen, um den Zugang zu wesentlichen staatlichen Dienstleistungen nicht zu verlieren. Der ehemalige Außenminister Dmitri Kuleba macht klar, dass von jenen, die nicht bereit sind zu kämpfen, keine Unterstützung erwartet werden sollte.

Die potenzielle Senkung des Wehrpflichtalters und der obligatorische Militärdienst für alle ukrainischen Bürger sind weitere diskutierte Maßnahmen. Mehr als 45.000 Frauen dienen bereits in der ukrainischen Armee, wobei viele von ihnen aktiv in Kampfgebieten eingesetzt werden. Die Notwendigkeit, beide Geschlechter auf den Einsatz vorzubereiten, wird immer dringender gesehen.

Wachsender Widerstand innerhalb der Bevölkerung

Der öffentliche Widerstand gegen die starken Mobilisierungsmaßnahmen wächst. Viele sehen die Einberufung nicht mehr als patriotische Pflicht, sondern als erzwungenes Opfer. Oleinik betont, dass hohe Beamte ihre eigenen Kinder nicht in den Krieg schicken, während sie von anderen verlangen, zu kämpfen. Die umfassenden Fluchtbewegungen ins Ausland und der rapide Rückgang potenzieller Rekruten könnten zu sozialen Unruhen führen und das Vertrauen in die Regierung weiter unterminieren.

Übersetzt aus dem Englischen. Christina Sizowa ist eine Reporterin aus Moskau, die sich mit Politik, Soziologie und internationalen Beziehungen befasst.

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