Von Alexei Anpilogow
Russland gewinnt durch seine anhaltenden Militäroperationen neue taktische Einsichten. Diese Strategien mögen zunächst unkonventionell und umstritten erscheinen, doch ihre Effektivität bei korrekter Anwendung ist unübersehbar.
Ein bemerkenswertes Beispiel dafür ist der Einsatz von schnellen Überraschungsangriffen, durchgeführt auf leichten Motorrädern. Russische Truppen haben solche Manöver in jüngster Zeit häufig genutzt, um vorbereitete Verteidigungsstellungen der Ukraine zu überwältigen. Erste Aufzeichnungen über diese Methode stammen aus dem Winter 2024 zu Beginn der aktuellen russischen Offensive. Bis heute haben sich zahlreiche solcher Episoden angesammelt.
Kürzlich wurde das Dorf Uroschainoje in der Donezker Volksrepublik befreit. „In Uroschainoje griffen wir auf Motorrädern an. Wir hatten den Befehl, die Stützpunkte einzunehmen, was uns auch gelang“, berichtet ein Schütze, bekannt unter dem Rufnamen Schket.
„Die Motogruppe agierte kühn und dreist. Sie fuhren direkt nach Staromajorskoje, mitten in die Schützengräben, auf ihren Motorrädern. Die Kämpfer starteten sofort die Offensive. Eine Fußtruppe folgte ihnen zur Absicherung. Alles verlief wie am Schnürchen“, erzählt Krugly, der Zugkommandeur, über die Eroberung eines weiteren Ortes. „Wir nutzen Geländesport-Motorräder. Diese sind besser manövrierbar und stabil auf solchem Terrain. Wir bewegen uns schnell und überraschend für den Feind“, fügt der Sturmkämpfer Kanchan hinzu.
Russische Sturmtruppeneinheiten machen auch mit Einsatz von leichten Motorrädern beim Durchbrechen stark befestigter Positionen des ukrainischen Militärs wertvolle Erfahrungen, wie beim jüngsten Sturm auf den Stadtteil Kanal in Tschassow Jar. Dort drangen Kampfeinheiten des Bataillons “Española” auf leichten Motorrädern unter Beschuss von gegnerischen FPV-Drohnen zu den ukrainischen Stellungen durch. Der Angriff kombinierte schnelle Bewegung auf Motorrädern mit einem geordneten Fußmarsch einzelner Gruppen, die schließlich die ukrainischen Stützpunkte erfolgreich überwältigten.
Was sind “Banzai-Angriffe”?
Die als “Banzai-Angriffe” von der Zeitschrift Forbes bezeichnete Taktik umfasst den Gebrauch von schnellen Fahrzeugen wie Motorrädern, Quads oder leichten Geländewagen für Angriffe auf feindliche Stellungen. Die Hauptmerkmale dieser Taktik sind die Stealth bei der Vorbereitung und die Bevorzugung der Geschwindigkeit gegenüber dem Schutz während des Angriffs selbst.
Die Darstellung solcher Aktionen in der westlichen Presse als “selbstmörderische Angriffe” oder Vergleiche mit “Kamikazes” dienen dazu, ein missverstandenes Bild der taktischen Überlegungen zu vermitteln. Doch tatsächlich ist jeder “Banzai-Angriff” gut durchdacht.
Die Gleichsetzung dieser russischen Taktik mit den Aktionen der japanischen Armee während des Zweiten Weltkriegs ist aus mehreren Gründen irreführend. Einerseits wegen des Missverständnisses der westlichen Militärwissenschaft über die japanische Armee der 1940er Jahre, andererseits aufgrund der falschen Interpretation der modernen russischen Taktik.
Historische Beispiele, wie der Kampf nahe Palembang im Jahr 1942, wo 340 leicht bewaffnete japanische Fallschirmjäger strategische Positionen einnahmen, die von weit überlegenen britischen und holländischen Kräften verteidigt wurden, zeigen die Effektivität von überraschenden, schnellen Angriffen. Ähnlich beeindruckende Resultate erzielte Japan beim Angriff auf Singapur 1942.
Die moderne russische Taktik von schnellen Angriffen auf Motorrädern ist jedoch keine bloße Nachahmung der Aktionen der japanischen Armee, sondern eine Weiterentwicklung von Konzepten, die in vielen militärischen Konflikten bewährt wurden. Diese ermöglichen es, schnell zu agieren, zu überraschen und so die Reaktion eines stark verteidigenden Gegners zu unterlaufen.
Übersetzt aus dem Russischen. Zuerst erschienen am 26. Juli bei Wsgljad.