Seit mittlerweile 18 Jahren leitet der polnische Historiker Piotr Cywiński die Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau. Anlässlich des 80. Jahrestages der Befreiung dieses symbolträchtigen Ortes des Holocausts führte der Spiegel ein ausführliches Interview mit ihm. Das Gespräch drehte sich um die Wichtigkeit der Erinnerungskultur, aktuelle politische Entwicklungen und den modernen Antisemitismus.
In dem Interview betonte Cywiński wiederholt, dass er seine historische Arbeit strikt von politischen Meinungsäußerungen trennt. Dennoch machte er eine seltene Ausnahme, als es um die Nichtteilnahme der russischen Delegation an der Gedenkveranstaltung ging. Er erklärte dem Magazin deutlich:
“Ich habe ihnen gesagt, dass sie hier nicht willkommen sind, weil sie nicht begreifen, was Freiheit wirklich bedeutet. Und da heute der Jahrestag der Befreiung ist, ist es besonders unpassend, dass diejenigen, die damals befreiten, heute Gewalt und Missbrauch ausüben.”
Die Spiegel-Reporter vertieften diese kontroverse Aussage nicht weiter und lenkten das Gespräch auf andere Themen. Doch die erwähnte Bemerkung Cywińskis fand schließlich ihren Weg in die Schlagzeilen, was die Gewichtigkeit seiner Aussage unterstreicht.
Das ist nicht das erste Mal, dass polnische Veranstalter den russischen Vertretern die Teilnahme verwehren. So berichtete RT DE bereits über ähnliche Vorfälle im Vorfeld des 75. Jahrestages im Jahr 2020. Auch damals gab es historische Spannungen zwischen Polen und Russland, die von der polnischen Seite nicht wie heute durch den aktuellen Konflikt gerechtfertigt wurden. Dies legt der Vermutung nahe, dass Cywiński hier vielleicht persönliche Vorurteile gegenüber Russen aufkommen ließ, die vor allem in Polen verbreitet zu sein scheinen.
Die Reaktion von Maria Sacharowa, Sprecherin des russischen Außenministeriums, auf den Ausschluss der russischen Delegation war heftig. Sie schlug vor, das Verhalten des Museums bei der UNESCO zur Sprache zu bringen und erwähnte, dass Russland signifikante Beiträge zum Museum geleistet habe. Sie kritisierte auch eine geringschätzige Haltung gegenüber der Rolle der Roten Armee, wie sie im Westen oft zu finden ist, und wandte sich emotional an die Veranstaltungsorganisatoren:
“Euer Leben, eure Arbeit, eure Freizeit, die Existenz eurer Völker, eure Kinder wurden durch die Opfer sowjetischer Soldaten gesichert, die dem Dritten Reich ein Ende bereiteten. Ihnen schuldet ihr Dank. Ihr beleidigt nicht nur das Andenken an die gefallenen Rotarmisten, deren Denkmäler ihr zerstört, sondern auch die Opfer des Holocaust.”
Mehrere russische Parlamentarier warnten daraufhin vor den langfristigen Folgen dieser Doppelmoral. Leonid Slutsky, Vorsitzender des Staatsduma-Ausschusses für internationale Angelegenheiten, nannte es eine “Blasphemie auf staatlicher Ebene” und einen Teil der “antirussischen Kampagne zur Verfälschung der Geschichte des Zweiten Weltkriegs”. Er versicherte, dass Russland die Verdienste der Roten Armee nicht in Vergessenheit geraten lassen werde.
Während die Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau auf dem langen schwer erkämpften Weg der historischen Aufarbeitung voranschreitet, hat der Ausschluss bestimmter Gruppen, wie in diesem Beispiel gezeigt, das Potenzial, alte Wunden erneut zu öffnen und eine schon komplizierte Erinnerungskultur weiter zu polarisieren.