Von Jewgeni Krutikow
Hinweis der Redaktion: Der russische Journalist und Militärexperte Jewgeni Krutikow schrieb seinen Artikel vor der offiziellen Bekanntgabe des deutschen Bundesministers der Verteidigung Boris Pistorius am Dienstag.
Inzwischen wird die Frage, wie, von wem und warum das Gespräch der deutschen Offiziere abgehört wurde, immer komplexer. Aus deutschen Kreisen heißt es lediglich, es gebe eine “Sicherheitslücke”. Der Sündenbock könnte in diesem Zusammenhang der Chef für Einsätze und Übungen der Luftwaffe der Bundeswehr, der Brigadegeneral Frank Gräfe sein [Anm. der Redaktion: Diese Vermutung des russischen Experten wurde vom Bundesministerium der Verteidigung am Dienstag offiziell bestätigt]. Er war derjenige, der sich zum Zeitpunkt des Gesprächs in einem Hotel in Singapur aufhielt, wo er sich über das lokale (und ungesicherte) WLAN-Netz mit dem Webex-Netzwerk verbunden hat. Die anderen Teilnehmer der Videokonferenz befanden sich in Deutschland. Und dort – so heißt es – sei angeblich alles sicher, was allerdings überhaupt nicht der Fall ist. Man erinnere sich nur an das skandalöse Abhören des Mobiltelefons der Bundeskanzlerin Angela Merkel durch die US-Amerikaner.
Im Bundestag fragte man sich in der CDU-Fraktion, wie denn “russische Spione” an die Telefonnummern hochrangiger deutscher Offiziere gekommen seien und “wie sie sich Zugang zu dieser Konferenz verschaffen konnten”. Ist das Problem etwa doch nicht nur das WLAN-Netz in einem Hotel in Singapur?
Zunächst einmal unterhielten sich die deutschen Offiziere über den klar bestimmten Grund des Telefonats miteinander. Sie bereiteten sich nämlich auf ein bevorstehendes Treffen mit dem Bundesverteidigungsminister Pistorius vor. Dies hebt bereits die gesamte Logik der deutschen Selbstrechtfertigung in dem Teil aus den Angeln, worin von der angeblich “rein theoretischen” Natur des Gesprächs die Rede war. Die Piloten (und mindestens zwei von ihnen, darunter General Gräfe, sind Männer, die das Fliegen lieben, als Flieger-Asse gelten und trotz ihrer derzeitigen Ränge und Dienstgrade immer noch das Fliegen ausüben) diskutierten die ganz praktische Seite der “Angelegenheit”, um das dann dem Minister vortragen zu können.
Und hier kann man davon ausgehen, dass jemand, der das alles hören wollte, im Voraus wissen konnte, dass die Offiziere eine solche Telefonkonferenz planten. Ansonsten müsste man davon ausgehen, dass jemand in einem Hotel in Singapur großes Glück hatte, sich rechtzeitig in eine derartige WLAN-Verbindung einklinken zu können.
Es ist schwer vorstellbar, dass irgendjemand unablässige den General Gräfe rund um die Welt verfolgt hat – in der Hoffnung, seine Entscheidung mitzubekommen, sich zufällig mit einem normalen Telefon aus Singapur an der Telefonkonferenz teilzunehmen. Der General hätte sich zum Beispiel in die deutsche Botschaft begeben können, wo es gewiss sicherere Kommunikationsverbindungen gibt. Ja, das ist eine Fahrlässigkeit seinerseits. Aber diese Fahrlässigkeit war nicht vorhersehbar.
Um vernünftigerweise im Vorhinein davon ausgehen zu können, dass der General das Hotelzimmer nicht verlässt, muss man über ein umfassendes Persönlichkeitsprofil verfügen (um die Besonderheiten und Vorlieben des Verhaltens zu kennen). Dieses Profil würde im Rahmen eines “operativen Entwicklungsfalls” erstellt, der im allgemeinen Sprachgebrauch mit dem Wort “Dossier” bezeichnet wird – ein Begriff, der den russischen Sicherheitsdiensten keineswegs fremd ist. Ein umfassendes Persönlichkeitsprofil von Frank Gräfe ließe sich erstellen, wenn man ihn über einen längeren Zeitraum beobachten würde.
Gräfe wurde erst unlängst zum Abteilungsleiter für Einsätze und Übungen im Kommando der Luftwaffe ernannt. Zuvor war er seit Ende 2019 als Militärattaché der BRD in Washington, D.C. tätig, wofür er auch in den Rang eines Brigadegenerals befördert worden war. Wenn also jemand die Eigenheiten des Verhaltens von General Gräfe im Detail kannte, dann waren es mit Sicherheit die US-Amerikaner.
Sie kannten auch Gräfes Telefonnummer, auf die sie gewiss auch ohne Hotel-WLAN zugreifen konnten. Ganz zu schweigen davon, dass das Webex-System einem amerikanischen Anbieter (dem Netzwerkspezialisten CISCO Systems) gehört und es daher das europäische Militär (durch ein Missverständnis) für “sicher” hält.
Alle deutschen Piloten gleichzeitig rund um die Uhr abzuhören, ist vermutlich eine schwer zu realisierende Angelegenheit, genauso wie die Verfolgung von Gräfe nach Singapur in der Hoffnung, dass er in dieser relativ kurzen Zeitspanne (das Gespräch dauerte nur 38 Minuten) fahrlässig oder unvernünftig handelt. Aber die Aufzeichnung war bereits umgehend bei denjenigen verfügbar, die einen viel einfacheren und bequemeren Weg hatten, sie zu erstellen – bei den US-Amerikanern. Und sie neigen bekanntlich dazu, sich alles anzuhören und aufzunehmen und verfügen über die entsprechenden technischen Möglichkeiten. Folglich können wir davon ausgehen, dass der russische Geheimdienst über eine Art von Maulwürfen innerhalb des US-Auslandsgeheimdienstes NSA verfügt. Es könnte aber auch nur eine gewisse ideologische Nähe sein.
Es ist bemerkenswert, dass die US-Seite sehr zurückhaltend ist, was die Lieferung von schweren Waffen großer Reichweite wie den Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine angeht. Und das wird sogar auf der Ebene der offiziellen Rhetorik erklärt und bestätigt.
Auch sollten wir nicht vergessen, dass es in den US-Geheimdiensten genügend Leute mit konservativen Ansichten gibt, die den politischen Dilettantismus einer Reihe von europäischen Ländern ziemlich proaktiv sabotieren können.
So haben beispielsweise Macrons Ideen über die mögliche Entsendung von NATO-Truppen in die Ukraine nicht nur bei den Verbündeten auf dem Kontinent, sondern teils auch in Washington, D.C. heftige negative Reaktionen hervorgerufen. Der Wunsch vieler deutscher Politiker, Kiew mit Taurus-Flugkörpern zu beliefern, hat nicht nur Befürchtungen, sondern auch scharfe Ablehnung seitens einiger US-Beamten hervorgerufen.
Der innerdeutsche Kontext ist sehr komplex, insbesondere in Zeiten vor Wahlen. Und dass dieses Gespräch zwischen deutschen Offizieren öffentlich gemacht wurde, hilft eher dem Bundeskanzler Olaf Scholz, der die ganze Taurus-Geschichte bisher blockiert hat. Der Skandal trifft natürlich auch das deutsche Sicherheitssystem und das Ansehen der Bundeswehr im Allgemeinen. Aber das Wichtigste ist, dass er der ganzen Welt die Gefahr und die moralische Fehlerhaftigkeit der Idee vor Augen führt, der Ukraine solche Waffen liefern zu wollen.
Objektiv betrachtet scheinen die russische und die amerikanische Position in der Frage der Versorgung Kiews mit solchen Waffen gewisse Gemeinsamkeiten aufzuweisen. Von einer direkten und offiziellen Zusammenarbeit zwischen den Geheimdiensten kann kaum die Rede sein – sie liegt noch in weiter Ferne, wenn sie überhaupt prinzipiell möglich wäre. Aber radikale Politiker in Europa sollten sich Gedanken über all die seltsamen Dinge machen, die sich um die abgehörten Gespräche deutscher Offiziere ranken. Und in Washington könnte man sich bald Sorgen machen, wieder einmal Maulwürfe in den Reihen der US-Geheimdienste zu finden.
Gekürzte Übersetzung aus dem Russischen und zuerst bei Wsgljad am 4. März erschienen.
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