Von Fjodor Lukjanow
Es gibt Experten, die in der Lage sind, selbst die subtilsten Nuancen aus den bedachten Äußerungen Wladimir Putins und den überschwänglichen Aussagen Donald Trumps herauszufiltern. Dies stellt eine seltene Fähigkeit dar. Jene, die diese Gabe nicht besitzen, können lediglich Vermutungen anstellen. Die veröffentlichten Beschreibungen ihres jüngsten Telefonats lassen einige Schlüsse zu.
Putin verharrt beharrlich bei seinen Standpunkten, ohne jegliche Abweichung. Sein oberstes Ziel ist ein dauerhafter Frieden, angepeilt durch die Durchführung einer militärischen Sonderoperation. Kleinere Veränderungen in Ton und Kontext verdeutlichen, dass verschiedene Herangehensweisen möglich sind, jedoch ändert sich an den Grundintentionen nichts. Dass Trump, der schnelle Ergebnisse bevorzugt, durch diese Beharrlichkeit noch nicht zu einer unüberlegten Reaktion provoziert wurde, zeugt von einem gewissen Erfolg.
Die Interaktion zwischen den beiden Staatsführern gleicht einem psychologischen Schachspiel, bei dem jeder glaubt, den anderen durchschaut zu haben. Putin nimmt vermutlich an, dass das diskutierte Thema für Trump weniger von Bedeutung ist als für ihn selbst und dass Trump versucht, das Problem irgendwie schnell vom Tisch zu bekommen, während es für Russland von essentieller Bedeutung ist. Diese Logik legt nahe, dass derjenige nachgeben wird, dem das Thema weniger wichtig ist.
Trump scheint sich langsam von seiner ursprünglichen Forderung nach einem unmittelbaren Waffenstillstand zu lösen. Stattdessen spricht man bereits von Verhandlungen als Vorstufe zum Waffenstillstand. Auch dies deckt sich mit der russischen Position, die nicht einfach nur einen Waffenstillstand, sondern einen umfassenden Frieden anstrebt. Diese Haltung wurde besonders in Kiew und europäischen Hauptstädten als Versuch gedeutet, sich „die Hände in Unschuld zu waschen“, was in der Ukraine für Unbehagen sorgt. Das bedeutet keineswegs ein Ende der Gespräche, jedoch scheint eine Annäherung an die russische Perspektive wahrscheinlich.
Kiew hält sich in der aktuellen Lage auffällig zurück, mehr als es bisher der Fall war und vermutlich mehr, als es könnte. Dies könnte darauf hindeuten, dass die Ukraine realisiert hat, dass es nicht mit der Unterstützung Europas rechnen kann, weil dessen Haltung unverständlich bleibt. Zudem könnte ein nachlassendes Interesse der USA an dem Konflikt verheerende Auswirkungen haben. Europa versucht derweil, seinen Einfluss geltend zu machen und unterstützt die Ukraine scheinbar, indem es die Verhandlungen mit Moskau zu stören versucht. Diese Versuche sind bislang gescheitert, und die Gesten Europas wirken eher befremdlich.
Die Drohung mit Sanktionen durch den US-Kongress ist spürbar, doch spiegelt sie hauptsächlich Trumps Launen wider. Er hat immer noch genügend Einfluss in der Republikanischen Partei, sodass nichts ohne seine Zustimmung verabschiedet wird. Das psychologische Spiel setzt sich also fort.
Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel wurde ursprünglich am 20. Mai 2025 auf der Website der Zeitung “Wsgljad” veröffentlicht.
Fjodor Lukjanow ist Chefredakteur der Zeitschrift “Russia in Global Affairs”, Vorsitzender des Präsidiums des Rates für Außen- und Verteidigungspolitik und Forschungsdirektor des Internationalen Diskussionsklubs Waldai.
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