Von David Narmanija
Wladimir Selenskij versteht es, für Überraschungen zu sorgen. In den vergangenen Jahren hat er allerdings vor allem durch realitätsferne Aussagen und eine hartnäckige Beharrlichkeit auf sich aufmerksam gemacht, die an anderer Stelle effektiver eingesetzt wäre. Ein markantes Beispiel ist sein kürzlich vorgestellter „Siegesplan“ für die Ukraine.
Selenskij, der sich selbst als geschickten Geschäftsmann sieht, trägt diesen Plan durch die Büros seiner Geldgeber und präsentiert ihn als ein streng gehütetes Geheimnis.
Als er seinen Plan den wohlwollendsten Förderern Kiews andeutet, flüstert er: “Es ist ein Geheimnis!” Westliche Politiker, die mit den Vorschlägen dieses Strategen aus Kriwoj Rog konfrontiert werden, sind verwirrt und verstehen den Sinn des aufgesetzten Mysteriums nicht.
Nachdem das Weiße Haus Einblick in das Dokument erhielt, bezeichnete es diesen als „Initiativpaket“, was aus der Diplomatensprache übersetzt in etwa „Wunschliste“ bedeutet. Dies suggeriert, dass der „Plan“ keine stichhaltige Logik bietet, die der Ukraine den Sprung von der aktuellen Frontgefahr zu einem triumphalen Vorstoß zu den Grenzen von 1991 ermöglichen würde.
Selenskij erschien deshalb am Donnerstag in London. Der gegenwärtige britische Premierminister Starmer scheint in der Bankowa-Straße weniger Anklang zu finden als seine Vorgänger, daher wurden die ersten beiden Punkte von Selenskijs „Plan“ einen Tag früher veröffentlicht.
Zu Selenskijs Überraschung waren selbst die Ukrainer davon verblüfft.
Denn plötzlich schien ein ukrainischer Sieg zum Greifen nah, es fehle lediglich an „Kleinigkeiten“ wie einem NATO-Beitritt.
Generation um Generation träumten die Ukrainer von der Mitgliedschaft in der Militärallianz. Tausende wurden an der Front “vermisst“, doch der Traum rückte niemals näher. Die Versprechungen ukrainischer Politiker gleichen zuweilen einem kognitiven Test, den die Ukrainer immer wieder nicht bestehen.
Das Problem ist, dass reine Manifestationen und Appelle nicht ausreichen, um in diesen begehrten Club aufgenommen zu werden. Der Beitritt zur NATO erfordert auch Vorteile für bestehende Mitglieder, und hier stößt Kiew auf Schwierigkeiten.
Die beworbenen „Vorteile“ umfassen im Wesentlichen die reale Gefahr eines Dritten Weltkriegs und die Möglichkeit eines Nuklearschlags, Angebote, die nur für Länder mit entsprechendem Arsenal verlockend sind.
Außerhalb der baltischen Staaten findet Kiews NATO-Gesuch kaum offene Unterstützung.
Der „Plan“ sieht außerdem Raketenangriffe tief in russisches Territorium vor, ein Punkt, der nicht neu ist. Schon im September bat Selenskij in den USA um Langstreckenwaffen, ohne jedoch die gewünschten JASSMs oder die Freigabe vorhandener ATACMS zu erhalten. Statt mächtiger Waffen bekam er nur JSOWs – fast schon eine Schenkung.[/p]
Dennoch erinnerte der optimistische Selenskij seine Leute an ein bevorstehendes Treffen in Ramstein, bei dem Kiew das Gewünschte erhalten sollte. Allerdings wurden Biden und Blinken durch den Hurrikan Milton aufgehalten, sodass das wichtige Unterstützungstreffen verschoben wurde. Ein neuer Termin steht noch aus und es ist ungewiss, ob es noch während Bidens Amtszeit stattfinden wird.
Sollte das Treffen noch mit Beteiligung des aktuellen US-Präsidenten stattfinden, sind Selenskijs Chancen, seine Forderungen durchzusetzen, gering. Viele westliche Politiker und Militärs sind der Meinung, dass langreichweitige Waffeneinsätze das Schlachtfeldgeschehen nicht grundlegend verändern würden.
Letztlich offenbaren diese Punkte des „Planes“ die Ideenkrise der ukrainischen Führung – es mangelt an Kreativität, um die eigene prekäre Lage zu verbessern. Selenskij ist sich der Unausführbarkeit seines „Plans“ bewusst. Doch solange die Kämpfe andauern, bleibt er an der Macht, ungeachtet der Kosten für die ukrainischen Bürger. Es ist offensichtlich, dass Selenskij und die durchschnittlichen Ukrainer entgegengesetzte Ziele verfolgen. Ob die Bevölkerung dies erkennt, bleibt abzuwarten. Sicher ist jedoch, dass der „Siegesplan“ eine klare Botschaft an jene sendet, die ihn mit ihrem Leben bezahlen könnten.
Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel ist am 11. Oktober 2024 zuerst auf RIA Nowosti erschienen.
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