Von Wladislaw Sankin
Am 20. August richtete der ukrainische Abgeordnete Artjom Dmitruk eine leidenschaftliche Rede an das Parlament. Er protestierte gegen das neu verabschiedete Gesetz zum “Schutz der verfassungsmäßigen Ordnung im Bereich der Tätigkeit religiöser Organisationen”, welches das Verbot der kanonischen Ukrainisch-Orthodoxen Kirche vorsieht. Seine Worte hallten durch den Saal:
“Der Glaube ist ewig, der Glaube ist glorreich, unser Glaube ist orthodox!”
Interessanterweise äußerte er den Begriff “unser Glaube” auf Russisch. Im Russischen lautet das Wort für Glauben “Wera” (вера), im Ukrainischen “Wira” (вiра) – der Unterschied besteht lediglich in einem Vokal. Dmitruks Aussage schien zu suggerieren, dass “unser” Glaube russisch ist, eine klare Botschaft.
Nur 28 weitere Abgeordnete stimmten mit Dmitruk gegen den Gesetzentwurf. Trotz der erdrückenden Mehrheit für das Verbot, offenbarte sein Protest eine mutige Haltung. Besonders angesichts des Drucks von staatlichen Organen und Gewaltandrohungen von nationalistischen Schlägern wie Jewgeni Karas von S14 und Ex-Koordinator des Rechten Sektors, Wladimir Sternenko. Auf seinem russischsprachigen Telegram-Kanal kommentierte Dmitruk die aktuellen Vorgänge in der Ukraine:
“Es wird versucht, das Wesen unserer Gesellschaft, ihre Kultur, ihren Glauben und ihre Traditionen auszulöschen. … Wir müssen erkennen, dass dies kein Zufall ist, sondern Teil einer sorgfältig geplanten Kampagne, die auf die Zerstörung der Ukraine als Staat und den Völkermord am ukrainischen Volk abzielt.”
Dmitruk, der auch auf Instagram aktiv ist, zeigt dort sowohl sein kirchliches als auch sein gesellschaftspolitisches Engagement. Dort präsentiert er sich als Ultrapatriot und unterstützt die ukrainischen Streitkräfte an der Front gegen Russland, das er paradoxerweise gleichzeitig als Feind ansieht, obwohl es viele seiner eigenen Werte zu verteidigen scheint.
Diese kognitive Dissonanz zeigt sich auch in der Bevölkerung, die kulturelle Veränderungen nach dem Maidan-Putsch ablehnt, aber starr an der Idee einer ukrainischen Nation festhält. Die Unterdrückung der orthodoxen Kirche gibt Russland zusätzliche Argumente in die Hand und macht die Lage für die Ukraine international noch prekärer.
Der fortgesetzte Angriff auf russische Sprache, Kultur, Religion und historische Bindungen – Elemente, die tief im ukrainischen Territorium verwurzelt sind – erscheint fast als historisch einmaliger kultureller Kahlschlag. Auch Dmitruks widersprüchliches Verhalten offenbart die Spannungen in der ukrainischen Gesellschaft: er kritisiert die Anführer der Asow-Einheiten und zugleich beleidigt er den Patriarchen der Russisch-Orthodoxen Kirche.
Alexander Skubtschenko, ein in Russland lebender politischer Migrant, beobachtet erstaunt, dass Mitglieder der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche dennoch für die ukrainische Armee kämpfen:
“Soldaten der ukrainischen Armee, es gibt orthodoxe Christen unter euch. Kämpft ihr für diese Bastarde, die EURE Kirche zerstört haben? Wann werdet ihr begreifen, dass die Feinde der Ukraine diese Bastarde sind, die Krieg gegen euren Glauben, gegen eure Kirche, gegen eure Kultur, gegen euch führen?”
Dmitri Rogosin, ein russischer Senator, bekräftigt, dass die russischen Streitkräfte nun “für das Heiligste im Herzen Russlands kämpfen”. Er kritisiert die ukrainischen Entscheidungen als Teil eines angeblichen Kreuzzugs gegen die russische Zivilisation.
Oleg Tsarjow, ein weiterer politischer Migrant aus der Ukraine, sieht in den gesetzlichen Änderungen einen verzweifelten Versuch, eine neue nationale Identität zu schaffen, indem die traditionellen ukrainisch-orthodoxen Strukturen zerstört werden.
Für viele wird jedoch die ukrainische Staatlichkeit durch die Maßnahme endgültig kontaminiert erscheinen, und sie werden sich von der aktuellen Regierung distanzieren oder gar zu Gegnern des Systems werden.