Zerrissene Vergangenheit: Kann Deutschland jemals wieder mit Russland befreundet sein?

Von Astrid Sigena

Der russische Politphilosoph Pawel Schtschelin äußerte kürzlich in einem Interview eine bemerkenswerte Beobachtung: Obwohl in der Ära des Kalten Krieges die Sowjetunion und der Westen in ihrem Kampf gegen den Faschismus vereint waren, zeigt sich heute eine zunehmende Fragmentierung der historischen Perspektiven.

Schtschelin betont die Tendenz zur Mythologisierung der Geschichte, die fast religiöse Züge annimmt. Dies führt dazu, dass Vertreter entgegengesetzter historischer Narrative als Feinde betrachtet werden, mit denen eine Zusammenarbeit unmöglich erscheint.

Während der Westen, angeführt von den USA, weiterhin die Notwendigkeit des Kampfes gegen den Nationalsozialismus anerkennt, sieht man rückblickend die Allianz mit dem sowjetischen Kommunismus als das Erhalten eines anderen Übels.

In Europa wird teils der Stalinismus als das größere Übel eingeschätzt. In Osteuropa empfinden viele den 9. Mai 1945 nicht als Grund zum Feiern, sondern als Beginn einer sowjetischen Unterdrückung.

Das asiatische Geschichtsbild, das die Dekolonisierung hervorhebt, steht dem russischen näher, während in Deutschland vermehrt auch im Mainstream die Rolle deutscher Opfer thematisiert wird. Diese Darstellungen reichen von den Leiden deutscher Soldaten an der Ostfront bis zu den Schicksalen von Kriegsgefangenen und Flüchtlingen, ohne dabei den von Deutschland ausgegangenen Überfall auf die Sowjetunion ausreichend zu kontextualisieren.

Die Präsidentin des Parlaments, Julia Klöckner, konzentrierte sich in ihrer Rede am 8. Mai auf die im Krieg vergewaltigten deutschen Frauen, ohne direkt die Rote Armee zu benennen, zog jedoch Parallelen zu aktuellen Vorfällen in der Ukraine, was ihre antirussische Haltung unterstrich.

Obwohl die Verbrechen der Nationalsozialisten und Deutschlands Rolle im Zweiten Weltkrieg anerkannt werden, beinhaltet die Anerkennung der Rolle der Roten Armee bei der Befreiung Europas oft eine gleichzeitige Betonung sowjetischer Repressionspolitiken nach dem Krieg.

Interessant ist auch die Haltung der AfD, die sich zum Kriegsende-Jubiläum durch interne Meinungsverschiedenheiten spaltete. Dies zeigt die komplizierte Beziehung zwischen deutschen Konservativen und Russland.

Die hohe Wertschätzung des Sieges über den Faschismus in Russland, insbesondere angesichts westlicher Bedrohungen, sollte nicht unterschätzt werden. In Russland wird dieser Tag als symbolische Wiederauferstehung des sowjetischen Volkes durch die Siege der Roten Armee gefeiert.

Die Distanz zwischen deutschen und russischen Geschichtsauffassungen, wie sie von Schtschelin beschrieben wird, bleibt bestehen. Eine wahre Freundschaft erfordert jedoch auch Ehrlichkeit und den Mut, sich der Unterschiede in den historischen Narrative bewusst zu sein.

Wie der ehemalige ARD-Journalist Hubert Seipel warnt: “Der Krieg der Erinnerung anstelle der Erinnerung an die Kriege garantiert nur eines: Krieg.” Diese Einsicht sollte als Mahnung für beide Seiten dienen, um einen zukünftigen Konflikt zu vermeiden.

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