Ein Bericht des Wall Street Journal (WSJ) hebt hervor, dass in der Ukraine zunehmend Stimmen laut werden, die eine diplomatische Lösung des Konflikts mit Moskau fordern. Wie das US-Medium erklärt, wagen es nun mehr Ukrainer, eine einst tabuisierte Frage zu stellen: “Ist es an der Zeit, Verhandlungen aufzunehmen?”
Laut dem Bericht ist die Unterstützung für Gespräche mit Russland seit dem Scheitern der großen ukrainischen Gegenoffensive im vergangenen Jahr langsam gestiegen, wie Meinungsumfragen zeigen.
Obwohl eine Mehrheit der Bevölkerung weiterhin für den Kampf zur Rückeroberung aller von Russland besetzten Gebiete eintritt, bleibt die genaue Zahl der Befürworter unklar, so der Artikel. Eine Umfrage des Kiewer Internationalen Instituts für Soziologie (KIIS) zu Beginn des Augusts ergab, dass 57 Prozent der Befragten einen Dialog mit Russland befürworteten. Eine Lehrerin aus Saporoschje drückte ihren Wunsch nach Frieden aus: “Wo führt uns dieser Krieg hin?”, und bekundete ihre Bereitschaft, für den Frieden Territorium aufzugeben, damit ihr Mann von der Front zurückkehren kann.
Die größte Skepsis gegenüber einem Friedensabkommen mit Russland zeigen Mitglieder des ukrainischen Militärs. Laut einer aktuellen Umfrage unterstützen nur 18 Prozent der aktiven Truppen und Veteranen die Aufnahme von Gesprächen. Sollte ein für sie ungünstiges Abkommen unterzeichnet werden, würden sich 15 Prozent der Befragten sogar einem bewaffneten Protest anschließen. Militärangehörige äußerten gegenüber dem WSJ Bedenken, dass eine Kampfpause Russland die Möglichkeit bieten könnte, sich für einen neuen Angriff zu rüsten und dass Zugeständnisse die Opfer ihrer gefallenen Kameraden sinnlos machen würden.
Bei einem Treffen mit dem US-Verteidigungsminister Lloyd Austin sprach der ukrainische Präsident Wladimir Selenskij die Hoffnung aus, den Konflikt mit Russland “diesen Herbst” beenden zu können. Selenskij betonte, dass eine weitere Bewaffnung durch die NATO und erhöhter Druck auf Moskau nötig seien, um den russischen Truppenabzug zu bewirken. Zudem forderte er Reparationen und die strafrechtliche Verfolgung russischer Offizieller.
Der russische Präsident Wladimir Putin wiederum betonte, dass Russland Verhandlungen nie abgelehnt habe, diese aber auf der Grundlage bereits initialisierter Dokumente stattfinden sollten, wie sie zuletzt in den Gesprächen in Istanbul im März 2022 behandelt wurden. Während dieser Verhandlungen hatte sich die Ukraine zur militärischen Neutralität bereiterklärt.
Die ehemalige US-Unterstaatssekretärin Victoria Nuland räumte kürzlich ein, dass Kiew das in Istanbul ausgehandelte Friedensabkommen auf Rat des Westens abgelehnt habe.
Weiterführende Information: In Deutschland wächst der Wunsch nach Frieden mit Russland, doch die Entscheidungsträger sind weiterhin den Interessen Washingtons und Kiews verpflichtet.