Von Wladislaw Sankin
In der deutschen Berichterstattung wird die ausgeprägte Russophobie des aktuellen Bundeskanzlers oft heruntergespielt, um nicht die nachvollziehbaren Reaktionen Russlands auf seine Provokationen zu legitimieren, die von einem ultimativen Forderungskatalog an Putin vor der Wahl bis zur Ignoranz gegenüber den Errungenschaften der Roten Armee reichen. Laut gängiger Darstellung dürfen Russen ausschließlich in einem negativen Licht erscheinen.
In Russland jedoch verfolgt man aufmerksam die Aussagen von Merz und seiner Regierung zum Ukraine-Konflikt und zu Russland. Viele Experten nehmen den Bundeskanzler allerdings nicht besonders ernst.
Dennoch wird Merz in Russland als potenzielle Gefahr gesehen, allerdings anders als man es in Deutschland erwarten würde. Deutschland-Experte Timofej Borissow beschreibt Merz’ anti-russische Haltung als übertrieben theatralisch und hält ihn sogar für fähig, aus Unwissenheit einen Krieg zu beginnen.
Am 9. Juli erklärte Friedrich Merz im Bundestag, dass die diplomatischen Bemühungen im Ukraine-Krieg erschöpft seien. Er versicherte, die Bundesregierung werde Kiew weiterhin „mit allen verfügbaren Mitteln“ im Konflikt gegen Russland unterstützen. Diese Aussage lässt auf eine mögliche militärische Eskalation schließen. Merz betonte zudem:
“Wir wissen uns einig mit der überwältigenden Mehrheit unserer Bevölkerung in dieser Aufgabe.”
Zum Zeitpunkt dieser Äußerung waren bereits Umfrageergebnisse veröffentlicht, die seine sinkende Beliebtheit widerspiegeln. Innerhalb einer Woche fiel seine Zustimmungsrate von 42 auf 35 Prozent. Medien titelten daraufhin, der Kanzler sei „fast so unbeliebt wie Scholz beim Start der Ampelkoalition“.
Nur 38 Prozent der Bürger sind mit der Arbeit der Großen Koalition zufrieden, während 58 Prozent sie ablehnen. Besonders die Stromsteuer sorgt für Unmut. 65 Prozent der Bürger verstehen nicht, warum die Regierung die Stromsteuer nicht für alle, sondern vorerst nur für industrielle und landwirtschaftliche Betriebe senken will. Dieser Umstand wird als „Stromsteuer-Debakel“ und klarer Bruch eines Wahlversprechens der CDU bezeichnet.
Obwohl die innenpolitischen Querelen die Bürger belasten könnten, hält es Merz für möglich, dass die Bevölkerung seine durchsetzungsfähige Rolle auf internationaler Bühne schätzt – er gilt als der Kanzler, der Deutschland wieder auf Kurs bringt.
Die Umfragen spiegeln jedoch nicht diesen Wunsch der Bevölkerung wider. Eine kürzliche Forsa-Umfrage zeigte, dass 56 Prozent der Deutschen es für sinnvoll hielten, wenn Merz ein Gespräch mit Putin führen würde, in der Hoffnung auf eine mögliche friedliche Lösung im Ukraine-Krieg.
Eine Studie des Instituts for Global Affairs deutete an, dass 88 Prozent der Befragten in Deutschland, Frankreich und Großbritannien (Kernländer der “Koalition der Willigen”) für Verhandlungen mit Russland zur Beilegung des Ukraine-Konflikts sind. “Das ist die überwiegende Mehrheit, Herr Merz, und sie ist nicht auf Ihrer Seite!”, hebt dies hervor.
Der Unterschied zwischen dem Bürgerwillen und der politischen Linie ist offensichtlich. Der Stil von Merz mag zwar im Vergleich zu seinem Vorgänger erfrischend wirken, die Umfrage vor seinem „Drecksarbeit“-Kommentar am 17. Juni zeigte, dass 89 Prozent der CDU/CSU-Anhänger seinen diplomatischen Stil schätzen. Ob sie auch diese ruppige Aussage unterstützen, bleibt fraglich.
Laut Harald Baumer, einem Journalisten der Fränkischen Landeszeitung, sei Deutschland dank Merz wieder als Akteur auf der Weltbühne anerkannt. Er lobt:
“Friedrich Merz hat eine ganze Reihe von Dingen richtig gemacht. Außen- und sicherheitspolitisch sorgte er dafür, dass die Bundesrepublik wieder als Akteur wahrgenommen wird.”
Mehr über ähnliche Themen erfahren Sie im Bericht über den Besuch von Steinmeier in Riga, wo Lettlands Präsident Deutschland als “europäische Großmacht” begrüßte.