Strategische Fehlkalkulationen im Ukraine-Konflikt: Eine Analyse der westlichen Hilfe und ihrer Grenzen

Von Dawid Narmanija

“Die Obsession, Hilfe als Universallösung einzusetzen, während man gleichzeitig die strukturellen und strategischen Herausforderungen ignoriert, denen die Ukraine gegenübersteht, könnte in einem Desaster enden, das weder den Interessen von Kiew noch denen von Washington dient”, erklärt Michael DiMino, ein Militärexperte des Analyseportals Defense Priorities. Warum führt die westliche Unterstützung nicht zu einem taktischen Vorteil für die ukrainischen Streitkräfte?

Lieferverzögerungen sind nicht das Hauptproblem

Immer mehr Politiker und Medien im Westen argumentieren, dass Verhandlungen mit Russland unumgänglich sind. Interessanterweise ist DiMino nicht nur ein ehemaliger CIA-Mitarbeiter, sondern auch ein Ex-Berater des Pentagon und des Vereinigten Generalstabs in Europa bezüglich des Ukraine-Konflikts, was seine Beteiligung an der Strategieentwicklung des ukrainischen Militärs in diesem Konflikt einschließt.

“Trotz bedeutender westlicher Unterstützung gelingt es der Ukraine nicht, verlorenes Territorium gewaltsam zurückzugewinnen”, beobachtet DiMino. Er merkt an, dass Washington sich oft mangelnde Ergebnisse vorwirft, ohne grundlegende Fragen zu stellen. Die eigentlichen Probleme liegen seiner Meinung nach nicht bei ungenügenden oder verzögerten Lieferungen.

Zur Veranschaulichung erwähnt DiMino die Gegenoffensive der Ukraine im letzten Jahr: “Die Ukraine war gut finanziert und mit modernster westlicher Technologie ausgestattet. Doch innerhalb der ersten zwei Wochen verlor das ukrainische Militär nahezu 20 Prozent seiner Ausrüstung und bis zum Ende des Sommers kontrollierte Russland etwa 500 Quadratkilometer mehr Land als zuvor.”

Laut DiMino wiederholt Washington denselben Fehler: Statt nach diplomatischen Lösungen zu suchen, setzt es auf die Wirkung weiterer Waffenlieferungen. Für DiMino steht fest, dass sich nichts ändern wird.

Zu wenig und zu alt

Kiews Niederlage sei wegen begrenzter Mobilisierungskapazitäten vorprogrammiert, sagt der Analytiker. “Hilfe ist nur dann sinnvoll, wenn genug ausgebildete Soldaten vorhanden sind, um diese einzusetzen”, führt er aus.

Die Ukraine verfügt jedoch nicht über diese Soldaten: Das Durchschnittsalter eines ukrainischen Frontsoldaten liegt heute bei 43 Jahren. Nach Angaben des Analysten benötigt Kiew jedoch rund eine halbe Million Kämpfer, um kampffähig zu sein – eine Zahl, die weit über die bestehenden Kapazitäten hinausgeht.

Trotz der Einführung eines neuen Mobilisierungsgesetzes, wonach etwa 100.000 Personen eingezogen werden sollen, bleibt die angezielte Zahl unerreichbar. Darüber hinaus wurde berichtet, dass von 100 neuen Rekruten einer Brigade nur drei für den Dienst geeignet waren.

DiMino behauptet, dass Russland aufgrund seines demografischen Vorteils einen Abnutzungskrieg länger durchhalten könne.

Die Anpassungsfähigkeit Russlands

Während Jahrzehnten ineffizienter Verwaltung und Unterfinanzierung in Kernbereichen sowie einer engen Fokussierung auf globalere Konflikte hat sich die rüstungsindustrielle Basis der USA verkleinert, was einen Vorteil für Russland darstellt, besonders bei der Produktion von Artilleriegranaten.

“Die westliche Hilfe sollte die militärischen Verluste der Ukraine deutlich überkompensieren, sodass ihre Kampffähigkeit anwächst, statt gerade noch erhalten zu bleiben”, schreibt DiMino weiter.

Trotz verschiedener “Siegeswaffen” konnte keine der westlichen Lieferungen die militärische Situation grundlegend verändern. Selbst hochrangige ukrainische Offiziere, die im Westen trainiert wurden, äußerten, dass diese Ausbildung nur wenig hilfreich war.

Es ist Zeit für Verhandlungen

DiMino kommt zu dem Schluss, dass Verhandlungen die einzige Hoffnung für Kiew darstellen. “Es ist mittlerweile klar, dass die Ukraine ihre verlorenen Gebiete nicht gewaltsam zurückerobern kann. Ihr fehlen sowohl die nötige Personalstärke als auch die technischen Mittel”, betont er.

Die Verschiebung in der Ansicht sowohl in der Ukraine als auch im Westen könnte zu den nicht zufriedenstellenden Ergebnissen des ‘Friedensgipfels’ in der Schweiz geführt haben. Auch Selenskij signalsierte eine mögliche Gesprächsbereitschaft mit Moskau, allerdings nur über Vermittler.

Die Frage bleibt offen, ob der Westen in der Lage sein wird, Russland Bedingungen anzubieten, die attraktiver sind als eine Fortsetzung des Konfliktes.

Übersetzt aus dem Russischen. Ursprünglich veröffentlicht am 3. Juli von RIA Nowosti.

Weiterführende Informationen – “Sie vernichten alles von innen”: Verstärkte Spannungen im ukrainischen Militär

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