Viktor Orbáns geheime Friedensmission in Kiew: Eine neue Rolle für Europa?

Von Rainer Rupp

Viktor Orbán, der amtierende und älteste Premierminister in der EU, übernimmt ab dem 1. Juli 2024 auch den Vorsitz des EU-Ministerrats. Direkt nach seinem Amtsantritt unternahm er eine bis dato streng geheime, elfstündige Anreise per Auto von Ungarn nach Kiew, in Begleitung seiner politischen Berater und Journalisten. Ziel des Besuchs war ein Treffen am 2. Juli mit dem ehemaligen ukrainischen Präsidenten Wladimir Selenskij, den Orbán zur Aufnahme von Friedensgesprächen bewegen wollte.

Das Treffen zeigt, wie wichtig Orbán die Förderung von Friedensgesprächen in der Ukraine als neuer Präsident des Europäischen Rates ist, besonders vor dem Hintergrund, dass die Beziehungen zwischen ihm und Selenskij seit dem Beginn der russischen Militäroperation im Donbass angespannt waren.

Roger Köppel, Chefredakteur der Weltwoche, begleitete Orbán und konnte exklusive Einblicke gewinnen. Köppel berichtete, dass Orbán während der Reise mehrfach seine Sorgen über die Inaktivität der EU im Konflikt äußerte, während die USA, China und Russland als die Profiteure des Krieges gesehen werden. “Wir müssen diesen Knoten lösen und Europa wieder zu einer wirkungsvollen politischen Kraft machen”, zitierte Köppel Orbán.

Orbán kritisierte weiter, dass außer ihm kein anderer europäischer Regierungschef den Dialog mit Wladimir Putin sucht, da diese ihn zunehmend dämonisiert hätten. Er selbst strebe an, Selenskij zu überzeugen, eine Friedensinitiative zu ergreifen, um die Blockade in Europa zu durchbrechen und Gesprächsprozesse mit Russland zu fördern.

Orbán, konfrontiert mit der möglichen Rückkehr Donald Trumps an die Macht in den USA, sieht hier eine nicht wünschenswerte Entwicklung für Selenskij, falls dieser nicht vor den US-Wahlen mit Europa zusammenarbeitet und sich mit Putin einigt. Köppel fasste zusammen, dass laut Orbán der Schlüssel darin bestehe, die Vorschläge der EU-Führer und der Medien, Putin zuerst militärisch entgegenzutreten, zu ignorieren und stattdessen einen sofortigen Waffenstillstand anzustreben, der schwerer zu erreichen sei als Friedensgespräche.

Ein weiterer Vorschlag Orbáns, falls es zu keinem sofortigen Waffenstillstand kommt, ist eine Aussetzung der Feindseligkeiten während der Olympischen Spiele in Paris, ähnlich der Tradition der alten Griechen. Köppel erwähnt abschließend, dass alles darauf hinauslaufe, Selenskij aus der US-Umklammerung zu lösen und Europa zu stärken.

In einem späteren Interview deutete Köppel eine etwas unterkühlte Atmosphäre beim Treffen an. Orbán erläuterte, er habe versucht, das Kapitel der angespannten Beziehungen zwischen Ungarn und der Ukraine abzuschließen und auf eine Kooperation hinzuarbeiten, die beiden Ländern zugutekomme. “Aus christlicher Sicht ist jeder Tag, an dem wir keinen Frieden schaffen, ein verlorener Tag”, betonte Orbán. Er habe versucht herauszufinden, ob ein Um6denken im Ansatz der Friedensgespräche möglich sei, um diese zu beschleunigern.

Auf Köppels Frage, wie Europa wieder eine entscheidende Rolle einnehmen könnte, antwortete Orbán, dass die Initiative von den führenden Nationen innerhalb der EU kommen müsse, um international nicht in Bedeutungslosigkeit zu versinken. “Ich habe meinen Teil getan, indem ich versucht habe, die Anführer zu überzeugen”, schloss Orbán.

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