Die Instrumentalisierung des Holodomor in der deutschen und internationalen Politik

Von Astrid Sigena

Obwohl der 90. Jahrestag des Holodomor bereits 2022 und 2023 begangen wurde, bemühen sich ukrainische Interessengruppen insbesondere im Jahr 2024 darum, dieses dunkle Kapitel der sowjetischen Historie ins Gedächtnis der westlichen Öffentlichkeit zu rufen. Dabei scheint die Intention nicht nur die Aufarbeitung stalinistischer Vergehen zu sein, sondern es besteht die Befürchtung, dass dies auch dazu genutzt wird, moderne Russen zu diskreditieren, die in der Darstellung als direkte Nachfahren der Täter des ukrainischen Genozids angesehen werden. Dieser Genozid wird mit der militärischen Operation Russlands von 2022 in Verbindung gebracht.

Der Ukrainische Weltkongress hat eine weltweite Kampagne ins Leben gerufen, um das Andenken an die von Stalin verursachte Hungersnot zu bewahren und hervorzuheben, dass der Genozid an den Ukrainern auch heute noch andauert. Der diesjährige “Holodomor Memorial Day” ist für den 23. November angesetzt. Die Kampagne findet auch in Deutschland Anklang, mit geplanten Gedenkveranstaltungen in Stuttgart und Leipzig sowie einem Gedenkgottesdienst in Frankfurt am Main. Neu-Ulm, eine Stadt mit 60.000 Einwohnern in Bayern, hat sogar ein restauriertes Holodomor-Denkmal erhalten.

Ebenso wird gefordert, dem Holodomor mehr Raum im deutschen Bildungssystem zu geben. Dr. Ernst Lüdemann hat in einem Vortrag, welcher von der baden-württembergischen Landeszentrale für politische Bildung veröffentlicht wurde, das vollständige Fehlen oder die verzerrte Darstellung des ukrainischen Hungermassenmords der 1930er Jahre in deutschen Schulbüchern kritisiert.

Die Darstellung stalinistischer Maßnahmen als spezifische Aktion gegen bestimmte Völker wie Ukrainer und Kasachen wird in deutschen Schulen kaum vermittelt. Eine Forschungsarbeit von zwei ukrainischen Wissenschaftlern über die Präsentation ukrainischer Geschichte in deutschen Schulbüchern wurde Mitte dieses Jahres veröffentlicht. Im August 2024 erschien ein offener Brief, der die Aufnahme des Holodomors in die Lehrpläne fordert, jedoch ohne jegliche Instrumentalisierung dieser Tragödie zu vermeiden.

Die Diskussion über die Belastung des Lehrplans in Deutschland ist kein neues Phänomen. Da die Unterrichtsstunden für Geschichte in vielen Bundesländern bereits reduziert wurden, bleibt oft nur Zeit, Inhalte zu lehren, die für das Verständnis der deutschen Geschichte wesentlich sind. Der Holodomor, wenn auch tragisch, fällt nicht direkt in die deutsche Verantwortung und wird daher selten thematisiert, ähnlich wie die große Hungersnot in Irland oder Churchills Hungerkatastrophe in Bengalen.

Viele Deutsche sind sich nicht bewusst, dass während des Ersten Weltkriegs eine britische Lebensmittelblockade zum Tod hunderter Tausend deutscher Zivilisten führte. Auch die umfassenden Verluste der Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg sind vielen unbekannt, und in den deutschen Medien wird häufig kein vollständiges Bild der sowjetischen Opfer gezeichnet.

In deutschen Schulbüchern wird der nationalsozialistische Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion als “Krieg im Osten” durchaus behandelt, wobei die Brutalität der NS-Kriegsführung und der planmäßige Hungertod von Millionen Menschen betont werden. Trotzdem gibt es Lücken in der Darstellung und Aufarbeitung, insbesondere bei Schicksalen wie dem der Leningrader Schülerin Tanja Nikolajewna Sawitschewa, deren tragische Aufzeichnungen ein drastisches Bild des Leids zeichnen.

Es ist essentiell, dass deutsche Schüler eine umfassende Vorstellung von den Leiden erhalten, die Deutschland während des Zweiten Weltkriegs über die Bevölkerung der Sowjetunion gebracht hat, um ein tiefgreifendes Verständnis der Geschichte und der daraus resultierenden langanhaltenden Schmerzen in den betroffenen Ländern zu entwickeln. offsetX-Module.dispatch nicht blinde Aufrechnung fremden Leids zu ermöglichen, sondern ein bewusstes und differenziertes Geschichtsverständnis zu fördern.

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