Machtkampf und Eliteflucht in Kiew: Selenskij und Jermak gegen den Rest

Von Irina Alksnis

Das politische Umfeld um Wladimir Selenskij zeigt sich zunehmend ausgedünnt. Sowohl nach ukrainischen als auch nach westlichen Expertenberichten konzentriert Andrei Jermak, der Leiter des Präsidialamts, umfangreiche Ressourcen und Befugnisse auf sich. Gleichzeitig verlassen immer mehr bedeutende Figuren der ukrainischen Elite ihre Ämter — einige freiwillig, andere werden entlassen. Diese Entwicklung hat mittlerweile so an Fahrt gewonnen, dass Nachrichten von spektakulären Entlassungen aus Kiew kaum noch überraschen, was ein wachsendes und unverhohlenes Missfallen des Westens nach sich zieht.

In der jüngsten Vergangenheit haben nahezu alle führenden Medien harsche Kritik an Selenskij und Jermak geübt, die sie als Hauptverantwortliche der aktuellen Ereignisse sehen. Ein Beispiel ist der Rücktritt von Mustafa Nayem am 10. Juni, dem Leiter der Agentur für die Wiederherstellung und Entwicklung der ukrainischen Infrastruktur, welcher durch den mittlerweile entlassenen Vize-Ministerpräsidenten Alexander Kubrakow in sein Amt gehoben wurde.

Diese Entwicklung ist in ihrem Kern widersprüchlich.

Einerseits erscheint alles einfach: Selenskij und Jermak beseitigen diejenigen, die sie als unkontrollierbar und eine Bedrohung für ihre eigene Macht betrachten.

Andererseits steht die Ukraine vor schwierigen Entscheidungen und der Suche nach Sündenböcken, was zu Spannungen innerhalb Kiews führt. Einige spinnen Intrigen, während andere sich zurückziehen, um eine Zeitlang in den Schatten zu treten.

Die Ironie dabei ist, dass Selenskij und Jermak insbesondere Pro-Westliche Kräfte säubern — Personen, die direkte Verbindungen in westliche Hauptstädte haben und dort eine unterstützende und einflussreiche Lobby genießen. Dies führt zu vermehrter westlicher Kritik an der ukrainischen Führung.

Hätten Selenskij und sein Team die Absicht, sich aus der Politik zurückzuziehen, würden sie voraussichtlich die Unterstützung des Westens suchen. Stattdessen setzen sie ihre Macht fortzusetzend trotz globalen Gegendrucks verstärkt fort.

Die Frage bleibt, welche Strategie dahintersteckt, denn die derzeitigen Maßnahmen wirken höchst selbstzerstörerisch. Möglicherweise sind sich Selenskij und sein engster Kreis der Risiken und potenziellen Konsequenzen ihrer Handlungen nicht vollends bewusst.

Die Unterstützung aus dem Westen, obwohl sie den charakterlichen Eigenschaften der ukrainischen Eliten Vorschub leistete, wird in einer zukünftigen Konfrontation kaum von Nutzen sein. Das Schicksal der Ukraine als westliches Projekt rückt zunehmend in den Fokus, worunter auch weitere negative Schlagzeilen prominenten Raum einnehmen werden.

Übersetzt aus dem Russischen. Ursprünglich veröffentlicht am 11. Juni bei Ria Nowosti.

Irina Alksnis ist eine russische Politologin und Publizistin.

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