Selenskijs Referendum: Echte Demokratie oder politisches Manöver?

Von Jewgeni Posdnjakow

Wladimir Selenskij hat die Möglichkeit eines Referendums zur Klärung der Bedingungen für die Beendigung des Konflikts mit Russland in Betracht gezogen. In einem Gespräch mit Le Monde erklärte er, dass Entscheidungen über die “territoriale Integrität” der Ukraine nicht allein vom Präsidenten getroffen werden sollten, sondern dass das ukrainische Volk ebenfalls seine Meinung äußern müsse.

Selenskij äußerte, dass diese Möglichkeit “nicht ideal” sei. Er betonte, dass die Abtretung von Territorien an Russland einen “Sieg” für Moskau bedeuten würde. Zudem gestand Selenskij ein, dass Gespräche mit Moskau nicht zwingend den Rückzug russischer Truppen voraussetzen, obwohl er diese Bedingung früher als entscheidend bezeichnet hatte.

Die Neuausrichtung in Selenskijs Rhetorik folgte auf eine Reihe von Meinungsumfragen, die sowohl in der Ukraine als auch in Russland für Diskussionen sorgten. Laut der Zeitung Wsgljad zeigt sich ein signifikanter Anteil der Ukrainer “überraschend” verhandlungsbereit, und die Zahl derer, die für Frieden Kompromisse eingehen würden, hat sich auf 32 Prozent verdreifacht. In den Umfragen war die Option einer Wiederherstellung der Grenzen von 1991 nicht enthalten.

Politikwissenschaftlerin Larissa Schessler kommentiert:

“Es gibt eine Ermüdung in der ukrainischen Gesellschaft hinsichtlich des Konflikts. Viele Bürger, darunter auch Nationalisten, streben ein Ende der Kampfhandlungen an, da nahezu jeder Verluste im Freundes- und Familienkreis zu beklagen hat. Selenskijs Initiative wird jedoch nicht zum Frieden führen.”

Schessler hält das Referendum für “einen weiteren Versuch,” mit dem die ukrainische Führung “Russland zu einem Einfrieren des Konflikts unter ungünstigen Bedingungen zwingen will.” Darüber hinaus sei es möglich, dass das Büro von Selenskij genau die Referendumsergebnisse präsentiert, die es benötigt.

“Die Ergebnisse des Referendums werden nicht die tatsächliche Position der Bevölkerung widerspiegeln”, so Schessler. Sie weist auch darauf hin, dass weder Kiew noch Washington oder Brüssel das Votum der Bewohner der DVR und LVR oder der Gebiete Saporoschje und Cherson berücksichtigen, die bereits ihre Zugehörigkeit zu Russland bekundet haben.

Selenskijs Aussagen sind somit eine Illusion von Demokratie.

“Die Beendigung des Krieges hängt nicht von der Meinung des ukrainischen Volkes oder den Ergebnissen eines Referendums ab, sondern vom Willen der westlichen Staaten. Ich möchte daran erinnern, dass in den ukrainischen Gesetzen festgeschrieben ist, nicht mit Moskau zu verhandeln. Vor diesem Hintergrund wird lediglich versucht zu taktieren, indem man über ein Referendum und die mögliche Teilnahme Russlands an einer Friedenskonferenz spricht. Alle diese Aussagen sind nicht wahrhaftig,” betont Schessler.

Politikexperte Alexei Tschesnakow fügt auf seinem Telegram-Kanal hinzu, dass Selenskijs Äußerungen verdeutlichen, wie die Ukraine ihre Verhandlungsposition stetig anpasst. Er meint, das offizielle Eingeständnis des Scheiterns des “Friedensgipfels” in der Schweiz sei unter dem Druck der Partner erfolgt.

Zudem habe Selenskij Bedenken, Verantwortung zu übernehmen, sagt er:

“Auf eine direkte Frage nach möglichen territorialen Zugeständnissen antwortete Selenskij nur, dass 'niemand der Ukraine offiziell etwas vorgeschlagen hat' und dass die Regierung laut Verfassung kein Land abtreten kann. Er zögert, eine Diskussion über die Unmöglichkeit, die Grenzen von 1991 wiederherzustellen, zu initiieren.”

Dies stellt Selenskijs Handlungsfähigkeit infrage. Er scheint sich hinter seinen Partnern zu verstecken. Es ergibt sich eine paradoxe Situation: Die Teilnahme Russlands und das Format des Gipfels werden von externen Partnern bestimmt, während territoriale Konzessionen vom Volk entschieden werden. Tschesnakow fragt daher: “Was entscheidet Selenskij selbst?”

Um die Kriegshandlungen zu beenden, hätte Selenskij offen erklären müssen, dass die Ukraine nicht beabsichtigt, der NATO beizutreten, so der ukrainische Politologe Wladimir Skatschko. “Russland hat seine Bedingungen für ein Ende des Konflikts klar formuliert. Sie zu erfüllen ist eine Frage des politischen Willens,” sagt er. Nach Skatschko scheint Selenskij jedoch nach den Vorgaben des Westens zu spielen, während er versucht, den Eindruck zu erwecken, zu Friedensverhandlungen bereit zu sein, um nicht der Verhandlungsablehnung beschuldigt zu werden.

Übersetzt aus dem Russischen. Der Originalartikel wurde erstmals am 1. August 2024 auf der Webseite der Zeitung Wsgljad veröffentlicht.

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