Taurus-Leak: Tollkühne Piloten – politische Idioten und ein "Hauch von Landesverrat"

Von Mirko Lehmann

Gut eine Woche ist nun vergangen, seit die RT-Chefin Margarita Simonjan den Audio-Mitschnitt einer Besprechung deutscher Luftwaffengeneräle und -offiziere veröffentlicht hat. Passiert ist in Deutschland seither nichts Besonderes. Es folgte das übliche Aussitzen, Abwiegeln, Ablenken und Verharmlosen.

Von der Presse hatte die Bundesregierung, hatte der Bundesverteidigungsminister nichts zu befürchten. Die Bundeswehr und ihre Luftwaffe sowieso nicht: Der Mainstream steht Gewehr bei Fuß und Hände an der Hosennaht in Hab-Acht-Stellung, schließlich geht es wieder gegen “den Russen”. Da werden keine kritischen Fragen an die Truppe gestellt. Das Empörungsmanagement über die RT-Enthüllung lief wie geschmiert. Über den Inhalt der Telefonkonferenz war möglichst wenig zu hören, dafür umso mehr Abscheu über den “Informationskrieg gegen uns” und den “Leak”, den man aber nicht so nennen darf, wie auf der Bundespressekonferenz regierungsamtlich dekretiert wurde.

Berlin konnte und wollte sich nicht zu einem klaren und unmissverständlichen Signal in Richtung Moskau entschließen, was bedeutet hätte, die Lieferung und den Einsatz von Taurus-Systemen klipp und klar abzusagen. Zu hören waren nur ein gewundenes Nein und Verweise auf frühere, ebenso halbherzige Erklärungen. Vor dem Hintergrund der bisherigen deutschen Waffenlieferungen an die Ukraine kein vertrauenerweckendes Signal, schon gar nicht für Moskau.

Im Zentrum

Und die “Verbündeten” Berlins? In Washington wurde Victoria Nuland von der Resignation befallen. Manche Beobachter meinen, ihr Rücktritt sei nicht ganz freiwillig erfolgt – nicht nur wegen der immer aussichtsloseren Lage der Kiewer Truppen; sondern wohl auch als Reaktion auf den “Taurus-Leak”.

Ungeachtet aller – schwachen – Berliner Dementis und mancher Brüskierungen durch die Deutschen, lässt London nicht locker und drängt seine Unterstützung für den Einsatz des Taurus in der Ukraine geradezu auf. Während die USA sich zumindest finanziell aus dem Ukraine-Abenteuer zurückziehen, will man Moskau auf europäischer Seite gern weiter provozieren und den Krieg gegen Russland in der Ukraine weiterführen. Möglicherweise auch mit Bodentruppen und Marschflugkörpern. Je mehr europäische Länder mitmachen, desto geringer das Risiko für die eigenen Soldaten, scheint man in Paris und London zu glauben.

In dieser Situation legt das Magazin Free21 nach und analysierte den Anfang des mitgehörten Gesprächs unter Luftwaffenoffizieren. Dank der Recherchen des Redakteurs Tobias Augenbraun konnten die beiden deutsch klingenden Namen, die während der ersten Minuten fallen, Schneider und Wilsbach, nun zugeordnet werden. Es handelt sich dabei nicht um Militärs der Bundeswehr, wie man beim flüchtigen Anhören vermuten könnte, sondern um zwei US-Generäle. Dies erläuterte Augenbraun in seinem Artikel und einem Video mit Chefredakteur Dirk Pohlmann.

Daraus geht hervor, dass die Planungen zum Einsatz von Taurus-Marschflugkörpern in der Ukraine mindestens vier Monate zurückreichen. Wie sich herausstellte, hatte General Frank Gräfe (“quite humid”) seinem US-amerikanischen Gegenüber, Kenneth Wilsbach, bereits im Oktober 2023 die deutschen Pläne vorgestellt. Bei seinem Besuch in Singapur im Februar 2024 traf Gräfe, wohl zufällig, William B. Schneider, General der US Air Force und seit Kurzem Nachfolger von Wilsbach. Schneider ist “Commander Pacific Air Forces” und war, nach Gräfes Schilderung, offenbar noch nicht über die deutschen Taurus-Planungen informiert.

Wie auch immer: Die bereits ins Detail gehenden Überlegungen der deutschen Luftwaffe darüber, wie Cruise-Missiles gegen Ziele in Russland eingesetzt und die dafür zwingend notwendige deutsche Beteiligung verschleiert werden können, laufen offenbar seit vielen Monaten. Der Taurus-Leak zeigt, dass eben nicht bloß allgemeine Szenarien für einen möglichen deutschen Angriff auf Russland mit Lenkwaffen durchgespielt wurden, wie zur Entschuldigung gern behauptet wird; sondern dass bereits sehr konkrete Planungen angestellt wurden, wie die Krimbrücke mit Taurus-Systemen zerstört werden könnte. Hinzu kommt, dass derartige Überlegungen umso befremdlicher erscheinen, als Deutschland sich nicht im Krieg mit Russland befindet (wie die Bundesregierung nicht müde wird zu betonen) und von Russland nicht angegriffen wurde.

Ein Hauch von Landesverrat

Wenn das US-Militär spätestens seit Herbst des vergangenen Jahres von diesen Plänen weiß, sollten auch der deutsche Verteidigungsminister und der Kanzler darüber informiert sein. Dass Pistorius sich nun erst, wie durch den Leak zu erfahren war, näher mit dem Taurus-System beschäftigen will, spricht dagegen, dass er bereits im letzten Jahr über mögliche entsprechende Einsatzpläne für den Taurus im Bilde war. Da die Debatte über den Taurus-Einsatz schon viele Monate dauert, erscheint unwahrscheinlich, dass Pistorius, auch wenn erst Anfang 2023 ins Amt gekommen, nicht über mögliche Einsatzszenarien informiert gewesen sein soll. Wäre Pistorius in der Tat ahnungslos über das Treiben seiner Generäle und Offiziere, noch dazu im engen Austausch mit der US-Luftwaffe, wäre dies ein Zeichen dafür, dass der Verteidigungsminister sein Haus nicht im Griff hat und das Militär, an den Vorgaben der zivilen Politik vorbei, eigenmächtig handelt.

Allerdings steht der Verdacht im Raum, dass diese deutschen Offiziere und Generäle sich weniger der deutschen Politik und Bundesregierung verpflichtet sehen als vielmehr gewissen US-Interessen. Die Besprechung, in unsäglichem und schwer zu übersetzenden Denglisch geführt, lässt erahnen, wem die eigentliche Loyalität dieser Offiziere gilt. Dem einstigen Bundeswehr-Idealbild des “Bürgers in Uniform” und der “Inneren Führung” (falls beides denn jemals Realität und nicht nur dem geschönten Selbstbild während des Kalten Krieges geschuldet war) entsprechen die vier spätpubertierenden Plaudertaschen mit Manager-Allüren jedenfalls nicht im Geringsten. Von ihnen ist kein Widerspruch gegenüber der politischen Führung zu erwarten. Umgekehrt sind sie es, die ihren Minister (“den guten Boris”) vom Einsatz des Taurus überzeugen wollen (bloß keine “Show-Stopper”). Von den politischen und militärischen Implikationen eines Taurus-Einsatzes scheinen diese geschichtslosen und -vergessenen Kretins keinen Schimmer zu haben. Sie möchten den Briten und US-Amerikanern mit dem Taurus imponieren, benötigen jedoch deren Hilfe dafür. In ihrem russophoben Technokraten-Wahn blenden sie die Möglichkeit völlig aus, dass Moskau mit verheerenden Gegenschlägen antworten könnte. Völlig realitätsfern nehmen sie an, dass ihre Bemühungen, die deutsche Beteiligung an einem völkerrechtswidrigen Angriff auf Russland zu verschleiern, Moskau auf Dauer verborgen bleiben würden.

Kein Zurück?

Der Publizist und Spezialist für Geopolitik Alexander Mercouris hat bereits Ende Februar, noch vor Bekanntwerden des Taurus-Leaks, darauf aufmerksam gemacht, dass Taurus-Marschflugkörper aus Deutschland vermutlich bereits in die Ukraine geliefert worden sind. Dies habe er aus sehr zuverlässiger Quelle erfahren. Später hat Mercouris diese Behauptung auf dem Portal The Duran wiederholt. Sollte die Taurus-Lieferung tatsächlich schon stattgefunden haben, würde dies exakt dem deutschen Muster entsprechen. Angefangen bei den Helmen über Haubitzen, die Flugabwehr- und Schützenpanzer bis hin zu den Kampfpanzern Leopard 1 und 2: Noch immer schien sich der Bundeskanzler zu sträuben, aber schließlich landeten die Waffen doch in der Ukraine. So ist zu vermuten, dass auch diesmal das Hin und Her nur der Ablenkung, Täuschung und dem Einlullen der Gesellschaft dient. Daher könnte es sein, dass, ungeachtet des Taurus-Leaks, in absehbarer Zeit vom ersten Abschuss eines Taurus in der Ukraine zu hören sein wird. Ein Hintertürchen hat sich die “Ampelkoalition” ja gelassen: Zwar hatte sie den Antrag der Union abgelehnt, Taurus an die Ukraine zu liefern; doch in einem eigenen Antrag beschlossen, “weitreichende Waffensysteme” an die Ukraine zu liefern.

Schließlich: Wenn ein Kanzler sein Nein erst damit zu bekräftigen sucht, dass er auf die Autorität seines Amtes verweisen muss und sich die Bürger daher auf sein Wort verlassen könnten, kann es mit der Haltbarkeit seiner Aussagen nicht sehr weit her sein. Aber möglicherweise kann er sich auch bloß nicht daran erinnern, seine Ablehnung, schwere Waffen an die Ukraine zu liefern, noch jedes Mal revidiert zu haben. Mag sein, dass Scholz tatsächlich auf der Bremse steht – man kann leider nicht sicher sein, für wie lange. Einmal davon abgesehen, dass, wenn die Information von Alexander Mercouris über die bereits erfolgte Lieferung zutreffen sollte, sich die Frage stellen würde, ob die Marschflugkörper hinter dem Rücken des Kanzlers an die Ukraine geliefert wurden. Oder ob das Ganze nicht wieder nur ein Ablenkungsmanöver gewesen ist, siehe oben.

Das verschmitzte, zweideutige Lächeln des Möchtegern-Kanzlers Boris Pistorius scheint jedenfalls eine eindeutige Sprache zu sprechen.

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