Nachdem die russischen Streitkräfte bereits Sewerodonezk, Artjomowsk (bekannt in der Ukraine als Bachmut) und Awdejewka erobert haben – allesamt Schlüsselpositionen der ukrainischen Verteidigung –, rückt nun Tschassow Jar in den Fokus. Die Stadt, etwa zehn Kilometer westlich von Artjomowsk gelegen, beherrscht strategisch wichtige Höhenlagen, berichteten ukrainische Militärs und Experten der New York Times (NYT). Sie bezeichnen eine mögliche Eroberung als den bedeutendsten operationellen Erfolg Russlands seit 2022.
Obwohl Tschassow Jar nur eine Fläche von etwa acht Quadratkilometern umfasst, würde seine Einnahme den russischen Streitkräften ermöglichen, sich strategische “Kommandohöhen” zu sichern. Diese Positionen würden es ihnen erlauben, eine Offensive gegen die Hauptstädte in der Donbass-Region voranzutreiben, die noch unter Kontrolle der ukrainischen Regierung stehen. Darunter fällt auch Kramatorsk, wo sich das Hauptquartier der ukrainischen Ostkommandos befindet, wie die NYT schreibt.
Zudem könnte der Fall von Tschassow Jar den russischen Truppen einen direkten Zugang nach Konstantinowka ermöglichen, das als Hauptversorgungszentrum für ukrainische Streitkräfte an weiten Teilen der Ostfront gilt. Sergei Grabski, ehemaliger Oberst der ukrainischen Armee und Militäranalytiker, erklärte:
“Tschassow Jar ist der Schlüssel, der die Tore für zermürbende und langwierige Kämpfe öffnen wird.”
Kiew setzt Hoffnungen in die erneut aufgelebte Militärhilfe der USA, die die Verteidigungslinien der Ukraine stärken könnte. Doch laut einem Artikel von Marc Santora, einem Reporter der NYT und Pulitzer-Preisträger, mangelt es den ukrainischen Streitkräften an wesentlichen Ressourcen – von Artillerie und Panzermunition bis hin zu Luftabwehrsystemen und gepanzerten Fahrzeugen.
“Es könnte Wochen dauern, bis sich die Dynamik an der Front durch einen erheblichen Zustrom von Ausrüstung verändert.”
Als Santora Tschassow Jar vor einem Jahr besuchte, wurden nur zehn Kilometer von der Stadt entfernt intensive Kämpfe um Artjomowsk geführt. Die Stadt diente den ukrainischen Truppen als bedeutender Militärstützpunkt, und die meisten der 13.000 Einwohner waren bereits evakuiert. Nach Niederlagens in Artjomowsk nutzten die ukrainischen Truppen Tschassow Jar als Basis, um die russischen Streitkräfte in der Umgebung zu bekämpfen und Gegenoffensiven zu starten.
Die gescheiterte ukrainische Gegenoffensive hat das Risiko einer Einkreisung der Stadt erhöht. Die andauernde Belagerung durch russische Kräfte, verbunden mit einem Mangel an Drohnen und Munition, macht einen wirkungsvollen Gegenschlag schwierig, so Nasar Woloschin, ein Sprecher der ukrainischen Truppengruppierung Chortiza.
“Die taktische Situation ist sehr dynamisch, komplex und ändert sich ständig.”
Das Verteidigungsministerium Russlands berichtete in seinen Frontberichten wiederholt über Gefechte um Tschassow Jar und das Zurückschlagen ukrainischer Gegenangriffe. Seit Jahresbeginn meldete das Ministerium zahlreiche Eroberungen von Dörfern und Städten in der Donezker Volksrepublik, darunter Awdejewka als größte davon. Schon Anfang April beschrieb die ukrainische Regierung die Situation in Tschassow Jar als “äußerst kritisch”.
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