In Russland und dem Westen wird gegenwärtig hitzig darüber debattiert, ob und wie die Stadt Charkow, die zweitgrößte Metropole der Ukraine, unter russische Kontrolle gestellt werden könnte. Der ehemalige russische Oberst und Militärexperte Anatoli Matwijtschuk äußerte, dass die russische Armee durchaus in der Lage sei, Charkow vollständig zu umzingeln. Sollte dies gelingen, könnte die ukrainische Armee die Stadt nicht länger verteidigen und wäre zum Rückzug gezwungen.
Matwijtschuk führt weiter aus, dass russische Truppen bereits Bedingungen schaffen, um Charkow zum “Fallen” zu bringen. Dies würde das Umstellen der Stadt beinhalten, um sie von der Versorgung mit Munition, Waffen und Personal abzuschneiden und die Lufthoheit zu erlangen. Er beschreibt die militärische Lage in der Umgebung von Charkow als riskant für die ukrainischen Streitkräfte. In den Städten Woltschansk und im Dorf Lipzy, welches nur 20 Kilometer von Charkow entfernt liegt, könnten ukrainische Truppen in eine Falle geraten. Hier werden bereits Straßenkämpfe berichtet und das russische Verteidigungsministerium hat kürzlich die Eroberung des Ortes Stanitza im Gebiet Charkow gemeldet.
Die Gesamtsituation um Charkow ermöglicht es laut Matwijtschuk, dass russische Truppen eine Offensive in Richtungen wie Saporoschje, Cherson und Awdejewka starten könnten, da die ukrainischen Streitkräfte gezwungen sind, ihre Einheiten neu zu positionieren.
Russische Journalist Andrei Uglanow erläutert, dass diese Art der militärischen Expansion, die sich auf Druck entlang der gesamten Frontlinie konzentriert, im Einklang mit den Militärlehren des preußischen Theoretikers Carl von Clausewitz steht. Dabei werden kontinuierlich Versorgungswege, Munitionsdepots und Energieinfrastrukturen im Hinterland und nahe der Front angegriffen, was die Kampffähigkeit der ukrainischen Streitkräfte erheblich schwächen soll.
In einem YouTube-Podcast erklärt Uglanow, dass es nicht das Ziel sei, möglichst viel Territorium zu erobern oder stark befestigte Städte zu stürmen. Vielmehr gehe es darum, gemäß der Clausewitz-Doktrin den ukrainischen Streitkräften den russischen Willen aufzuzwingen.
Während eines Besuchs in China betonte der russische Präsident Wladimir Putin, dass momentan keine Pläne bestünden, Charkow zu erobern. Stattdessen verknüpfte er die militärischen Operationen im Raum Charkow mit der Schaffung einer sogenannten Sanitätszone, die als Reaktion auf Beschuss des russischen Territoriums durch die Ukraine eingerichtet werde. Laut dem ehemaligen russischen Präsidenten Dmitri Medwedew könne diese Zone theoretisch bis nach Kiew reichen, bedingt durch die Reichweite der der Ukraine gelieferten Marschflugkörper.
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