Von Roman Donezkij
Viele Menschen in der Russischen Föderation können es nicht fassen. Wie konnte die Ukraine, wo jeder von ihnen mindestens einen Armeekameraden, einen Kollegen und/oder einen Verwandten hat, so russophob werden? Wie konnten die Kameraden, Kollegen, Verwandten zu Schlächtern, zu Nachahmern der SS-Schergen werden? Wie können sie Konzentrationslager einrichten? Wie können sie in Zusammenarbeit mit Islamisten Terroranschläge verüben?
Das kann nicht stimmen, sagen sich viele Russen, die Behörden lügen. Und überhaupt. Bei den Ukrainern war schon immer alles besser. Das Bier dort ist billiger, vor allem jetzt, wo sie Teil der EU sind. Na ja, beinahe. Die Russen lieben die Ukraine. Weil sie ihr eigenes Land ist. Weil es ein Volk ist. Weil die Mythen der 80er-Jahre immer noch weiter leben.
Aber es gibt sie nicht mehr, die Ukraine, die die Russen kannten. Sie ist weg. Als Teenager habe ich in den 1990er-Jahren hautnah miterlebt, wie sie in Wolhynien getötet wurde. Dort wurden damals die Methoden getestet, die später im ganzen Land zum Einsatz kamen. Die Wolhynier haben zuerst dagegen protestiert. Sie verlangten, dass ihnen anstelle der vormals Dutzenden russischen Schulen wenigstens eine Russischklasse pro Region gelassen wird. Kiew winkte ab, sogar die russische Botschaft in Kiew. Sie sagten, wir mischen uns nicht in die inneren Angelegenheiten der Ukraine ein.
Und dann wuchsen in den ukrainisierten Schulen die neuen Kader heran. Nach 2004 strömten die Bandera-Ideologie und der ukrainische Nationalismus langsam, aber unaufhaltsam ins Zentrum und in den Osten des Landes. Und dann – dann kam das Jahr 2014, als die Bandera-Ideologie und der ukrainische Nationalismus landesweit mit Blut und Armut zementiert wurden.
Es gibt russische Verrückte, die meinen, es ginge ihnen mit tausend Euro Monatsgehalt in Moskau schlechter als dem durchschnittlichen Ukrainer mit 200 Euro. In der Ukraine mag man diese Art von Russen, bis zu einem gewissen Punkt. Sie haben ihren Beitrag zu dem heutigen Schlamassel geleistet. Sie haben den Glauben der Ukrainer gefestigt, dass es in Russland weder Straßen noch Lebensmittel gibt.
Und dann ist da noch der Glaube des Ukrainers, dass zwischen ihm und dem Paradies nur der verfluchte Moskauer steht. Wenn man nur alle Separatisten tötet, dann beginnt sofort das satte Leben. Viele sind darauf hereingefallen. Im nächsten Schritt wandte sich der Hass von den “Separatisten” ab und gegen die Moskals, gegen die Russen im Allgemeinen. Je mehr wir töten, sagt man sich überall zwischen Tschop und Charkow, desto schneller wird Europa uns aufnehmen.
Klar, es gibt in der Ukraine immer noch normale Menschen, die Geiseln des heutigen ukrainischen Zeitgeistes mit Stockholm-Syndrom und sogar einige ohne, die zwar alles verstehen, aber nichts tun können. Es gibt die verführte und verblödete Masse, die wirklich glaubt, dass die Moskals ihre Kloschüssel und die gebrauchte Waschmaschine stehlen wollen. Daneben gibt es Fanatiker, die USIS, die dem ISIS den Rang abläuft. Und zu guter Letzt gibt es den zynischen, berechnenden, korrupten Abschaum. Letzterer hält die Macht in Kiew fest in seinen Händen.
Aber die gute alte Ukraine gibt es nicht mehr. An ihrer Stelle wächst und gedeiht ein Ungeheuer. Ein aus dem Fleisch des russischen Volkes herausgeschnittener Kadaver, dessen Entstehung wir klassisch verpennt haben. Diesen Kadaver durstet es nach Blut. Nach russischem Blut. Und er wird es bekommen, solange die Russen sich gegenseitig bekämpfen, solange ein großer Teil der Russen auf das “Brudervolk” durch die rosarote Brille blickt und der Rest seinen Augen nicht trauen will in dem festen Glauben, die Ukrainer seien friedlich und freundlich.
Übrigens rate ich jedem, Schewtschenkos Poem “Gaidamaki” zu diesem Thema zu lesen. Dort steht es schwarz auf weiß, warum es heute Raketen, Drohnen und Artilleriegeschosse auf unsere Häupter hagelt. Wenn man ein Monster vor sich stehen hat, aber einen Hamster wahrnimmt, wird man selbst mit der Kraft eines Hamsters gegen das Monster kämpfen. Mit allem, was daraus folgt.
Um fair zu sein – unter den Russen in der Ukraine ist die Idee, dass die Landsleute nicht so sind, auch populär. Er tut uns halt leid, der “Hamster”.
Roman Donezkij ist das Pseudonym eines aus dem Westen der Ukraine stammenden Historikers und Militärexperten, der seit Beginn des ukrainischen Bürgerkriegs im Donbass lebt. Er kommentiert seit zwei Jahren die Ereignisse an der Front und in der Politik in einem allabendlichen Podcast. Man kann ihm auf Telegram folgen.
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