Von Jewgeni Krutikow
Zu Wochenbeginn haben die russischen Streitkräfte die Stadt Ugledar erreicht und ihre Positionen westlich der Stadt entlang des Flusses Kaschlagatsch von Pretschistowka bis Ugledar gefestigt. Der Vorstoß betrug etwa drei Kilometer in der Tiefe und sechs Kilometer entlang der Frontlinie.
Die Gefechte westlich von Ugledar finden weniger als einen Kilometer entfernt von der Straße zwischen der Stadt und der Siedlung Bogojawlenka statt, welche die einzige Versorgungsroute für die ukrainische Garnison von Ugledar darstellt. Nördlich der Stadt rücken zusätzliche russische Einheiten ebenfalls in Richtung Bogojawlenka vor.
Diese koordinierte Aktion könnte zur Einkesselung von Ugledar führen. Derzeit beträgt die Breite des durch die russischen Truppen erzeugten “Flaschenhalses” etwa sieben Kilometer. Ugledar droht somit von einem bedeutenden Stützpunkt für den Frontabschnitt Donezk Süd zu einer unhaltbaren Position zu werden.
Das ukrainische Militärkommando hat bisher nicht auf die drohende Einkesselung reagiert. Die Gründe für diese Passivität sind vielfältig.
Erstens wurden die kampfstärksten Einheiten von Ugledar zuerst nach Konstantinowka und später in das Gebiet Kursk verlegt – entgegen den ursprünglichen Plänen, die eine Ablenkung der russischen Kräfte vorsahen. Trotzdem wurden russische Einheiten aus dem Donbass nicht abgezogen, während ukrainische Truppen ihre Positionen verlegen mussten.
Zudem wurde die Einkesselung von Ugledar durch wochenlange Bombardements der Stadtverteidigungen mittels Artillerie und Luftwaffe vorbereitet, wobei das Ausmaß des Beschusses an einigen Tagen das Niveau früherer Konflikte, etwa die Erstürmung von Awdejewka, erreichte. Letztendlich kann das ukrainische Kommando die Prioritäten seiner Verteidigungslinie nicht festlegen.
Aktuell fungiert die Front von Torezk bis Rabotino als ein zusammenhängender Mechanismus. Nach dem Vorrücken der russischen Verbände scheint der Plan des russischen Generalstabs darin zu bestehen, die ukrainische Verteidigung gleichzeitig an mehreren Punkten unter Druck zu setzen.
Um den russischen Offensiven zu begegnen, bündelt das ukrainische Militär üblicherweise so viele Ressourcen wie möglich an einem vermuteten “Schwerpunkt”. Zwar gelang es eine Zeit lang, die Angriffsschwerpunkte Russlands auszumachen, aber in den letzten Monaten führt Russland gleichzeitig Aktionen an diversen Frontabschnitten durch, die ineinandergreifen.
So wurde die Einkesselung von Ugledar etwa nach der Eroberung des Dorfs Konstantinowka ermöglicht, was wiederum im Zusammenhang mit einer erfolgreichen Offensive um Krasnogorowka stand. Die Einnahme von Krasnogorowka beeinträchtigte nicht nur den Vormarsch in Richtung Kurachowo, sondern auch allgemein in Richtung Pokrowsk.
Wegen dieser operativen Lage kann das ukrainische Militär nicht zeitnah den gefährlichsten Frontabschnitt bestimmen, da alle miteinander verbunden sind und potenziell kritisch für Kiew werden können. Ein Rückzug an einem Frontabschnitt zieht automatisch eine Krise an angrenzenden Abschnitten nach sich.
Ein prägnantes Beispiel ist die Entwicklung der russischen Offensive am Frontabschnitt Pokrowsk, wo es dem ukrainischen Militär bislang nicht gelungen ist, die operative Krise zu überwinden. Es gab drei Versuche, eine neue Verteidigungslinie zu errichten, doch durch eine Serie von Manövern und Änderungen der Kampfführung vereiteln Russlands Streitkräfte jedes Mal die Versuche des ukrainischen Militärs, dauerhafte Befestigungen zu errichten.
Dass bedeutende Orte wie Selidowo von russischen Truppen unter Einkesselungstaktiken umgangen werden, ist auch in Ugledar zu beobachten. Das Vorgehen der russischen Streitkräfte zielt darauf ab, Straßenkämpfe zu meiden und die Offensive nicht in die Länge zu ziehen. Aktuell befindet sich Selidowo in einem Halbkessel, ähnlich wie Ugledar.
Ähnliche Entwicklungen zeigt der Ballungsraum Nowgorodskaja (ehemals New York) – Torezk. Auch hier ist die Verteidigung für das ukrainische Militär so aussichtslos wie in Ugledar. Die russischen Streitkräfte setzen ihre Taktik schneller Manöver fort und umstellten Torezk von Westen und Nordosten. In Tschassow Jar erfolgt die Eroberung der Stadt über Flankenmanöver, die perspektivisch eine Aufteilung und Umzingelung der Stadt ermöglichen könnten.
Das ukrainische Kommando steht der Strategie und Taktik der russischen Streitkräfte machtlos gegenüber.
In den vergangenen Tagen haben Russlands Streitkräfte signifikante Geländegewinne am Frontabschnitt Kupjansk-Swatowo erzielt, die Siedlungen Newskoje und Makejewka befreit und den Fluss Scherebez überschritten. Unerwartet für Kiew belebte sich die Front im Gebiet Saporoschje, bei Staromajorskoje und Rabotino.
Proukrainische und westliche Medien geben zu, dass ein Zusammenbruch der Front von Ugledar bis Kurachowo dazu führen könnte, dass sich ukrainische Truppen bis zum Gebiet Dnjepropetrowsk zurückziehen müssen. Es gelang ihnen nicht, eine neue Verteidigungslinie mit Kurachowo als Hauptstützpunkt aufzubauen. Und westlich von Kurachowo verfügt das ukrainische Militär über keine Reserven oder ernstzunehmende Befestigungen. Die bestehenden Befestigungen sind südwärts ausgerichtet, während die russischen Kräfte von Ost nach West vorrücken.
Weitere Analysten weisen auf eine mögliche russische Offensive am Frontabschnitt Saporoschje hin. Auch das Entstehen weiterer, für die Ukraine unerwarteter Druckpunkte ist möglich. Ohne den Ereignissen vorgreifen zu wollen, ist bereits jetzt erkennbar, dass eine Zunahme russischer taktischer Offensivoperationen bevorsteht, die möglicherweise zu einer Operation von strategischer Bedeutung heranwachsen könnte. Die Entwicklungen in Ugledar sind ein wesentlicher Bestandteil dieses Gesamtbilds.
Übersetzt aus dem Russischen. Zuerst erschienen bei Wsgljad am 24. September.
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