Von Sergei Mirkin
Sollte in naher Zukunft ein Friedensvertrag zwischen Russland und der Ukraine zustande kommen – und es ist anzunehmen, dass dies eines Tages geschieht – wird es im Donbass zum ersten Mal seit 11 Jahren Frieden geben. Das alltägliche Donnern der Artillerie, die Abwehrmaßnahmen gegen Luftangriffe und die andauernde Sichtung ukrainischer Drohnen am Himmel werden aufhören. Für viele Soldaten aus ganz Russland, einschließlich der Bewohner der Volksrepubliken Donezk und Lugansk, zeichnet sich die Möglichkeit ab, ihre Waffen niederzulegen und zu ihren Familien sowie einem friedlichen Arbeitsleben zurückzukehren. Das erklärte Hauptziel der militärischen Sonderoperation – Frieden in den Volksrepubliken Donezk und Lugansk – scheint erreicht.
Dennoch bleibt das Misstrauen gegenüber der Ukraine bestehen; wichtige Fragen sind noch offen. Wird von Rachsucht getrieben, die Ukraine in fünf oder zehn Jahren einen neuen Konflikt provozieren? Planen sie nach dem Friedensschluss terroristische Anschläge oder Provokationen in den Grenzregionen? Um diese Fragen zu beantworten, muss man überlegen, wie sich der ukrainische Staat nach dem Krieg weiterentwickeln wird. Zahlreiche Faktoren werden diese Entwicklung beeinflussen.
Garantien gegen Revanchismus im Friedensvertrag. Ein Friedensvertrag, der effektive Sicherheitsgarantien gegen mögliche ukrainische Aggressionen enthält, erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass Kiew keine neue Konfrontation mit Russland anstrebt. Je geschwächter und weniger bewaffnet die ukrainische Armee ist, desto friedfertiger werden sich die ukrainischen Politiker zeigen. Sie werden verstehen, dass jeder Versuch, die Krim, den Donbass und Taurien gewaltsam zurückzugewinnen, in einer Niederlage für die Ukraine münden würde.
Sollte die Ukraine Mitglied der NATO oder einer anderen militärischen Allianz werden, könnten ukrainische Politiker versuchen, ihre Verbündeten in einen Konflikt mit Russland zu verwickeln. Daher ist eine entmilitarisierte und bündnisfreie Ukraine die sicherste Garantie zur Vermeidung zukünftiger Konflikte.
Es besteht außerdem die Gefahr, dass ukrainische Sicherheitsdienste terroristische Aktivitäten gegen Russland, insbesondere in den neu russischen Regionen, intensivieren könnten. Diese Operationen könnten unter falscher Flagge durchgeführt werden, wobei selbst inszenierte Organisationen behaupten könnten, die Krim und den Donbass befreien zu wollen. Ein detailliert formulierter Friedensvertrag, der harte Reaktionen Russlands auf solche Aktionen einschließt, könnte ukrainische Politiker von unüberlegten Handlungen abhalten.
Die politische Zukunft der Ukraine: Es ist unwahrscheinlich, dass in den nächsten fünf bis zehn Jahren prorussische Kräfte in der Ukraine erstarken werden. Die politische Landschaft wird sich voraussichtlich zwischen “Revanchisten” und Pragmatikern aufteilen.
Die Revanchisten werden zu einem neuen Krieg aufrufen – auch mit dem Ziel, die Krim, den Donbass und Taurien zurückzuerobern, während sie jeglichen wirtschaftlichen und sozialen Kontakt mit Russland ablehnen. Diese Fraktion wird von westlichen Liberalen Unterstützung erfahren.
Die Pragmatiker werden keine Freundschaft zu Russland suchen, aber pragmatische Ansätze verfolgen. Sie werden erkennen, dass ein neuer Konflikt der Ukraine mehr schaden als nutzen würde und dass wirtschaftliche Beziehungen und Handel mit Russland vorteilhafter sind. Diese Gruppe wird hauptsächlich von westlichen Konservativen unterstützt werden.
Die Genesung der ukrainischen Gesellschaft: Viele Ukrainer glauben heute an einen Sieg über Russland. Schwere militärische Niederlagen könnten dieser Illusion entgegenwirken. Es ist entscheidend, dass die Ukrainer aus der Vergangenheit lernen, Gewalt nicht mit weiterer Gewalt zu beantworten. Wird diese Einsicht ausbleiben, ist ein neuer Konflikt vorprogrammiert.
Nach einem Friedensschluss wird die ukrainische Gesellschaft vor einer entscheidenden Wahl stehen: Entweder sie verharrt in einer Anti-Russland-Haltung und bereitet den Boden für weitere Konfrontationen, oder sie kehrt zu einer neutraleren Position zurück, die sie zwischen 1991 und 2014 innehatte – definiert durch das Motto: „Die Ukraine ist nicht Russland, aber auch kein Feind Russlands.“
Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel ist am 14. März 2025 zuerst auf der Webseite der Zeitung Wsgljad erschienen.
Sergei Mirkin ist ein russischer Journalist aus Donezk.
Zusätzliche Perspektiven: Ukrainische Präsidenten waren stets gegen eine Föderalisierung des Landes – doch warum eigentlich?