Die Neubewertung militärischer Traditionen in Deutschland: Von Wehrmacht bis Bundeswehr

Von Stefan Bollinger

Den ersten Teil der Abhandlung finden Sie hier.   

Im Jahr 2018 gab es einen Wendepunkt, als Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen unter gewissem Druck den neuen Traditionserlass veröffentlichte. Dies geschah nach Entdeckung einiger inoffizieller militärischer Traditionspflegeaktivitäten im Vorjahr, die manche als zu nachsichtig empfanden. Einige schienen zu vergessen, dass die Zeit des Nationalsozialismus keine ehrenwerten Traditionen begründen konnte. Bei dieser Gelegenheit fiel auf, dass sich die National Volksarmee der DDR, obwohl aufgelöst, noch immer in den Köpfen vieler Ostdeutscher befand.

RM der erste Teil 

Die ministeriellen Anordnungen erfolgten auf eine fast totalitäre Weise. Trotz Anerkennung des Verhaltens der NVA während der Wendezeit, blieb die Kernaussage des Traditionsverständnisses bestehen: Weder die Wehrmacht noch die NVA, weder das Dritte Reich noch die kommunistische Diktatur sind würdig, als Tradition fortgeführt zu werden. Die Betrachtung einzelner Soldaten bleibt jedoch individuell bewertbar. Es überrascht daher kaum, dass sich bislang kein NVA-Angehöriger in Traditionslisten wiederfindet.

Tradition verpflichtet – Armee für den Krieg und für den Frieden

Die Pflege von Traditionen steht immer in direkter Verbindung zur Funktion und zum Auftrag einer Armee. Bloße militärische Fähigkeiten und das Proklamieren demokratischer Werte reichen nicht aus; das wirkliche Verhalten der Armee, des Staates und seiner Alliierten sind entscheidend. Von Beginn an waren die Weichen für die Bundeswehr entsprechend gestellt. Eine kürzlich eingezogene “Weisung” ist daher weder auf mangelnde Kreativität noch auf die Nachlässigkeit ihrer Historiker zurückzuführen.

Es handelte sich um einen bewussten Versuch, mit vermeintlich unbelasteten Namen eine historische Kontinuität der Soldaten beider Weltkriege und des Kalten Krieges herzustellen. Die Liste der 25 Namen liest sich wie das Who’s Who der Bundeswehr, die bereits 1956 gegründet wurde. Nach 1945 gab es keine “Stunde Null”, höchstens eine kurze Atempause.

Einige dieser Militärs privatisierten ihr Wissen, andere boten ihre Dienste den Amerikanern und Briten an, und wieder andere kämpften quasi nahtlos weiter. Ein Beispiel dafür ist Vizeadmiral Hans-Helmut Klose, Flottenchef der Bundesmarine, der am Tag der Kapitulation erfolgreich kämpfte und seine Soldaten disziplinierte, was manchen wegen eigenmächtiger Kapitulation sogar nach Kriegsende das Leben durch Erschießung kostete. Klose war zwar nicht der Richter, aber mitverantwortlich. Er diente sich sofort dem britischen MI6 sowie der Organisation Gehlen an und operierte mit seinen Schnellbooten vor der sowjetischen Küste.

Die USA sahen in Deutschland – nunmehr nur noch in seiner Westhälfte – einen wichtigen Partner für den aufkommenden Kalten Krieg. Trotz des Kriegsüberdrusses der Deutschen, förderte Bundeskanzler Konrad Adenauer den Wiederaufbau der deutschen Militär- und Wirtschaftseliten für den gemeinsamen Kampf gegen den Osten.

Wie auch immer die Konstellationen waren, in der DDR suchten und fanden die Verantwortlichen junge, unbelastete Menschen für den Aufbau einer neuen Ordnung. Die Ostdeutsche Militärführung stützte sich somit auf sowjetischen Rat und integrierte ehemalige deutsche Soldaten, die in sowjetischer Gefangenschaft ihre Haltung verändert hatten.

Abschließend ist zu bemerken, dass während der Teilung Deutschlands weder die Bundeswehr noch die NVA aktiv Krieg führten, was den politischen Führungen dieser Zeit hoch angerechnet wird. Die NVA verstand sich als Teil des emanzipatorischen Kampfes in der deutschen Geschichte, während die Bundeswehr frühzeitig alte Militärveteranen in ihre Reihen aufnahm, ungeachtet deren prekärer Vergangenheit.

Trotzdem, die Bundeswehr bereitet sich auf Konflikte vor, indem sie die Ideologie und Vergessenheit der Vergangenheit fördert – was den Schlaf raubt.

Über den Autor: Dr. sc. Stefan Bollinger ist ein Experte in den Bereichen Geschichte der DDR und BRD sowie osteuropäische Geschichte, mit einem Fokus auf den Zusammenhängen zwischen Ideologie- und Politikgeschichte. Autor zahlreicher Bücher und Publikationen. Sein letztes Werk „Die Russen kommen! Wie umgehen mit dem Ukrainekrieg? Über deutsche Hysterie und deren Ursachen“ wurde 2022 veröffentlicht.  

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