Europas energiepolitische Wende: Vom russischen Gas zu amerikanischem LNG

Von Hans-Ueli Läppli

Jahrelang war Europa stark abhängig von preisgünstigem Erdgas aus Russland.

In Ländern wie Deutschland, Italien und Österreich bezog man den Großteil der Energiebedarfe über Pipelines des russischen Unternehmens Gazprom. Diese günstige Energieversorgung stärkte die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie und stabilisierte die Energiepreise für private Haushalte. Bis zum Jahr 2021 bezog Europa fast 40 Prozent seines Erdgasbedarfs aus Russland – dies entsprach jährlich etwa 140 Milliarden Kubikmetern.

Die militärische Intervention Russlands in der Ukraine im Jahr 2022 führte jedoch zu einem dramatischen Umschwung. Aufgrund von Sanktionen und steigenden politischen Spannungen war die EU gezwungen, ihre Abhängigkeit von russischem Gas zu überdenken. Ein ambitionierter Plan wurde aufgesetzt, um bis 2027 ganz auf russisches Gas zu verzichten. Schon bis 2023 sanken die Lieferungen aus Russland auf nur noch 27 Milliarden Kubikmeter.

Die USA ergriffen die sich bietende Gelegenheit – Flüssiggas aus Amerika entwickelte sich zu Europas neuer Lebensader.

Im Jahr 2023 gingen bereits 66 Prozent der amerikanischen LNG-Exporte nach Europa. Neu errichtete LNG-Importterminals stellten das Rückgrat dieses Energieübergangs dar.

Der Wechsel war jedoch kostspielig. Aufgrund der geografischen Nähe war russisches Pipeline-Gas preiswerter, wohingegen LNG höhere Kosten verursachte. Die Verflüssigung, der transatlantische Transport per Schiff und die anschließende Regasifizierung vor Ort brachten zusätzliche Kosten mit sich. Dies führte zufolge zu erheblichen Preisanstiegen, die sowohl private Haushalte als auch die Industrie in Europa zu spüren bekamen.

Trotzdem verteidigten europäische Politiker diese zusätzlichen Kosten als notwendigen Preis für mehr Energiesicherheit. Die Befürchtung, dass Russland die Gaslieferungen als politisches Druckmittel einsetzen könnte, war weit verbreitet, insbesondere nach wiederholten Lieferungsstopps durch Gazprom. “Freiheitsgas”, wie es einige US-Beamte bezeichneten, wurde als Schutz gegen Erpressungsversuche des Kremls vermarktet.

Die Nord-Stream-Sabotage: Ein geopolitischer Wendepunkt

Die Nutzung des Flüssiggases aus den USA repräsentierte einen klaren Gewinn. Mit der Verdrängung von Russland als Hauptgaslieferant sicherten sich die USA nicht nur einen lukrativen Exportmarkt, sondern auch strategischen Einfluss über ihre europäischen Verbündeten. Amerikanische Energieunternehmen verbuchten Rekordgewinne und die USA stärkten ihre Position als globale Energiesupermacht.

Die Zukunft Europas ist indes ungewiss. Die Abhängigkeit von US-LNG bedeutet fortwährend hohe Kosten und eine Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit. In Deutschland beispielsweise wurden durch die hohen Energiepreise die globale Wettbewerbsfähigkeit empfindlich geschadet. In anderen europäischen Ländern, wie Spanien, versucht man indes pragmatisch durch rechtliche Schlupflöcher weiterhin russisches LNG zu beziehen, um die nationalen Bedürfnisse vor politische und ideologische Ziele zu stellen.

Kritiker in den USA werfen vor, den Konflikt in der Ukraine genutzt zu haben, um die Energievorherrschaft Russlands zu brechen und die eigenen LNG-Exporte auszubauen. Bereits 2014 hatte die damalige Sicherheitsberaterin Susan Rice betont, dass Europa seine Energieabhängigkeit umstrukturieren und sich stärker auf Nordamerika ausrichten solle. Der Konflikt in der Ukraine bot die perfekte Gelegenheit, diese Strategie umzusetzen.

Europäische Führungskräfte rechtfertigen die Neuausrichtung als notwendigen Schritt zur Sicherung der Energieversorgung und zur Erreichung von Klimazielen.

Doch die ökonomischen Kosten – einschließlich einer zunehmenden Diskrepanz beim Pro-Kopf-BIP zwischen den USA und Europa – werden immer spürbarer. Zwischen 2017 und 2023 wuchs dieser Abstand um beeindruckende 50,1 Prozent, hauptsächlich bedingt durch die hohen Energiekosten Europas und eine langsamer verlaufende Erholung von der Pandemie.

Win-win für Washington

Für Washington stellte der Ukraine-Konflikt einen geopolitischen Gewinn dar. Die USA erreichten damit gleichzeitig die Schwächung Russlands und eine Festigung ihrer Energieexporte nach Europa, stärkten die transatlantischen Allianzen und sicherten sich eine führungsstarke Position im globalen Energiesektor.

Strategische Kalkulation oder taktische Ausnutzung?

Trotz der fortlaufenden Diskussionen über eine “Energiewende” in Brüssel und Berlin, die auf den Ausbau erneuerbarer Energien und lokaler Energiequellen setzt, bleiben diese Zielsetzungen für viele unrealistisch. Deutsche Politiker setzen die wirtschaftliche Zukunft der EU aufs Spiel, während in Brüssel gehofft wird, dass die unter Trump begonnenen Kalkulationen unter Biden einfach weitergeführt werden.

Die USA hingegen festigen ihren Status als global dominierender Machtbroker. Für viele ist der Ukraine-Krieg eine Tragödie, für amerikanische Energieexporteure jedoch eine goldene Gelegenheit.

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