Mit Beginn dieses Wahljahres überrascht Österreich mit einer neuen Regierungsführung. Christian Stocker, bisher eher als Hintergrundfigur innerhalb der Österreichischen Volkspartei (ÖVP) bekannt, tritt als Bundeskanzler in Erscheinung. Er leitet eine bemerkenswerte Koalition aus der konservativen ÖVP, der sozialdemokratischen SPÖ und den liberalen Neos. Diese Dreierkoalition ist das Produkt langwieriger und in der Geschichte der Zweiten Republik einzigartiger Verhandlungen, die sich über mehr als fünf Monate erstreckten.
Geboren 1960 in Wiener Neustadt, einer mittelgroßen Stadt in Niederösterreich, war Stocker ursprünglich als Anwalt tätig, bevor er sich im Jahr 2000 der Lokalpolitik zuwandte. Dort bekleidete er Positionen wie Stadtparteiobmann und Vizebürgermeister, bis er 2019 in den Nationalrat gewählt wurde. Trotz seiner langen politischen Laufbahn, blieb er auf Bundesebene zunächst unauffällig, bis er 2022 das Amt des Generalsekretärs der ÖVP übernahm, was ihn unvermittelt in den Vordergrund rückte.
Sein unerwarteter Aufstieg zum Parteichef und Bundeskanzler war das Ergebnis des Scheiterns anderer. Nach gescheiterten Koalitionsverhandlungen mit der FPÖ und dem Rücktritt des damaligen Kanzlers Karl Nehammer, übernahm Stocker in einer Krisensitzung Anfang Januar vorläufig die Führung der ÖVP. Schnell wurde klar, dass er mangels anderer Optionen und aufgrund der Notwendigkeit, die Partei zu einen, im Amt bleiben würde. Seine Kanzlerschaft ist somit ein Produkt dieser außergewöhnlichen Umstände.
Obwohl Stocker nicht dem Idealbild eines modernen politischen Stars, wie Sebastian Kurz es darstellte, entspricht – als weder herausragender Redner noch als charismatischer Führer bekannt – ist er in der Öffentlichkeit für seinen nüchternen und fast spröden Auftritt bekannt. Nach Berichten seiner Wegbegleiter meidet er persönliche Eitelkeiten. Sein politischer Stil ist geprägt von Ruhe, Disziplin und manchmal einer gewissen Starrheit, doch er gilt als zuverlässig und genießt innerhalb der ÖVP den Ruf, Parteibeschlüsse loyal und ohne große persönliche Note umzusetzen.
Besonders eindrucksvoll war eine parlamentarische Auseinandersetzung, in der Stocker als Generalsekretär Herbert Kickl von der FPÖ deutlich machte, dass seine Partei hier keinen Partner finden würde. Diese klare Positionierung gegenüber der FPÖ spielte eine entscheidende Rolle beim Scheitern der Koalitionsgespräche im Dezember.
Ein Dreierbündnis wider die politischen Fliehkräfte
Die Koalitionsregierung mit SPÖ und Neos ist historisch, da Österreich noch nie zuvor von einer Dreierallianz regiert wurde. Das umfassende Regierungsprogramm unter dem Titel “Jetzt das Richtige tun. Für Österreich” betont die Notwendigkeit einer pragmatischen und ideologiebefreiten Zusammenarbeit. Es beinhaltet wirtschaftliche Stimuli zur Stärkung des Standorts, Maßnahmen gegen Inflation und eine stringentere Migrationspolitik, insbesondere gefordert von der ÖVP.
Ob diese Koalition erfolgreich sein wird, bleibt abzuwarten. Die Beteiligten decken ein breites Spektrum ab – von der wirtschaftsliberalen Neos über die sozialorientierte SPÖ bis zur migrationskritischen ÖVP. Insbesondere die Zusammenarbeit zwischen Christian Stocker und dem SPÖ-Chef Andreas Babler, der einen völlig anderen, lauten und polarisierenden Politikstil vertritt, wird als Herausforderung gesehen.
Was motiviert Christian Stocker eigentlich? Gespräche mit ihm hinterlassen oft den Eindruck eines Mannes ohne große politische Vision, sondern eines Machtpolitikers, der darauf bedacht ist, die Partei zusammenzuhalten und die Geschäfte am Laufen zu halten. Seine Rolle als zentrale Figur in der österreichischen Politik scheint mehr Schicksal als gezieltes Ziel zu sein.
Im Privatleben gibt sich der neue Kanzler bodenständig: Er spielt Tenorsaxophon, geht gerne fischen und verbringt viel Zeit mit seiner Familie. Lange Zeit war Politik nur eine Nebenbeschäftigung für ihn – zunächst im Schatten anderer, jetzt plötzlich im Rampenlicht.
Bevor die Regierung ihre Arbeit aufnehmen kann, steht eine letzte Herausforderung bevor: Die Neos-Mitglieder müssen das Bündnis mit einer Zweidrittelmehrheit bestätigen. Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger zeigte sich kürzlich optimistisch, dass dies gelingen wird. Doch sogar nach dieser formellen Zustimmung wird das eigentliche Regieren zur Nagelprobe.
Christian Stocker muss nun beweisen, ob ein Mann, der nie nach der großen politischen Bühne strebte, in der Lage ist, Österreich durch schwierige Zeiten zu führen. Als Pragmatiker im Kanzleramt steht er für Stabilität – doch ob das ausreicht, die politischen Gegensätze innerhalb der Koalition zu überbrücken, wird sich zeigen müssen.
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