Von Olga Samofalowa
“Das PD-14-Triebwerk ist bereits fertiggestellt und zertifiziert. Wir liegen hierbei voll im Zeitplan. Zu Beginn des nächsten Jahres starten wir die Zertifizierungsflüge mit unserem vollständig heimischen PD-14-Triebwerk. Ende März oder Anfang April beginnen die Tests mit der vollständig importsubstituierten MS-21”, erklärt der russische Industrie- und Handelsminister Anton Alichanow in einem Interview mit dem Sender Rossija 24.
Die ersten MS-21 Flugzeuge sind bereits in Betrieb, darunter auch solche, die das PD-14-Triebwerk nutzen. Deren Lieferung an Fluggesellschaften war für 2022 geplant. Jedoch wurden diese Pläne durch westliche Sanktionen gegen Russland verzögert. Der Grund ist, dass Russland alle Flugzeugkomponenten, einschließlich der Verbundwerkstoffe, nun selbst herstellt. Offensichtlich müssen diese Flugzeuge ohne westliche Bauteile erst die notwendigen Zertifizierungstests bestehen, bevor sie in Betrieb genommen werden können.
“Sobald ein durch Importe ersetztes System verfügbar und in das Flugzeug integriert ist, beginnen die Testflüge. Das komplett importsubstituierte Flugzeug wird im nächsten Jahr getestet, nachdem alle Komponenten aus heimischer Produktion stammen werden. Das wird der letzte Schritt der Zertifizierungsflugtests sein”, erklärt Roman Gussarow, Leiter von Avia.ru.
Zudem bestätigte der Minister die geplanten Zertifizierungsflüge für das Kurzstreckenflugzeug SJ-100 mit einem einheimischen PD-8-Triebwerk im nächsten Jahr. Ursprünglich wurde das PD-14 speziell für die MS-21 entwickelt, während das PD-8, ein kleineres Modell, sich noch in der Entwicklung befindet.
“Wir hatten einige Schwierigkeiten mit einzelnen Komponenten, die nun alle behoben sind. Wir hoffen, schon im nächsten Monat den Übergang zum ‚fliegenden Labor‘ zu machen, um die Bodentests abzuschließen und mit den Lufttests zu beginnen. Unser Ziel für das nächste Jahr ist es, den Superjet selbst zu testen”, so Alichanow weiter.
Russland plant zudem die Entwicklung der PD-35-Triebwerke mit hoher Schubkraft für zukünftige russische Großraumflugzeuge, die nach 2030 zum Einsatz kommen sollen. “Der Schlüssel hierbei sind die Technologien. Mehrere Forschungs- und Entwicklungsarbeiten sind bereits abgeschlossen. Es ist eine langfristige Aufgabe, die wir zweifellos fortsetzen werden, wobei die finanziellen Mittel dafür teilweise bereits im Haushaltsentwurf verankert sind”, erklärt der Minister.
Bezüglich der MS-21 wurde bereits mit der Serienfertigung begonnen, und zehn Exemplare wurden hergestellt. “Diese Flugzeuge werden jedoch noch nicht ausgeliefert, da die Zertifizierung noch nicht vollständig abgeschlossen ist. Sie verbleiben im Lager und warten auf die Fertigstellung der Zertifizierungstests. Sobald das Zertifikat ausgestellt wird, beginnt die Übergabe an die Fluggesellschaften. Es wird erwartet, dass die Fluggesellschaften bis 2025 mindestens zehn Flugzeuge erhalten werden, und im Folgejahr könnte die gleiche Anzahl produziert werden”, fügt Gussarow hinzu.
Obwohl die Fertigungskapazitäten für die Produktion von 36 Flugzeugen pro Jahr ausgelegt sind, wird es laut dem Experten drei Jahre dauern, dieses Produktionsvolumen zu erreichen. “Wenn die Nachfrage ansteigt, könnte die Produktion in Irkutsk auf 72 Flugzeuge pro Jahr erhöht werden. Das wird allerdings einige Jahre dauern. Wichtig ist die Nachfrage. Solange ausländische Flugzeuge fliegen, werden wir sie nutzen. Meiner Schätzung nach werden sie noch etwa zehn bis 15 Jahre im Einsatz sein, aber sie werden sukzessive durch einheimische Modelle ersetzt”, ergänzt Gussarow.
Die Situation bei den SJ-100-Flugzeugen ist komplizierter, unter anderem weil das Triebwerk für den SJ-100 noch in der Entwicklung ist, während die MS-21 bereits ein zertifiziertes PD-14-Triebwerk einsetzt. Da der Superjet (SJ-100) ursprünglich fast ausschließlich aus importierten Komponenten bestand, ist hier der Aufwand zur Substitution größer.
Das PD-8, das für den SJ-100 entwickelt wird, stellt kein Problem dar, da es eine verkleinerte Version des PD-14 ist. Was die großen PD-35-Triebwerke für Großraumflugzeuge angeht, so ist dies eine langfristige Aufgabe, ebenso wie die Entwicklung eines eigenen Großraumflugzeugs.
“Die PD-35-Triebwerke sind sehr komplexe Maschinen mit einem Durchmesser von mehr als drei Metern. Die Entwicklung neuer Technologien, die wir noch nicht besitzen, benötigt Zeit. Das Fehlen eigener Großraumflugzeuge ist jedoch nicht so kritisch. Während wir 500 Schmalrumpfflugzeuge benötigen, sind nur 100 Großraumflugzeuge nötig. Zudem können Schmalrumpfflugzeuge mit nur einer Zwischenlandung auch weite Strecken zurücklegen, wie beispielsweise nach Fernost. Selbst wenn es ein Defizit an Großraumflugzeugen gibt, können wir immer noch Langstreckenflüge durchführen”, so Gussarow abschließend.
Für Russland ist es von größter Wichtigkeit, eine eigene Flugzeugflotte mit einheimischen Triebwerken und vollständig substituierten Komponenten zu besitzen.
“Es gibt weltweit nur zwei große Hersteller – Boeing aus den USA und den europäischen Airbus – und wir können Flugzeuge sonst nirgendwo beschaffen, außer in China. Aber auch das chinesische Pendant zur MS-21 besteht komplett aus westlichen Komponenten und verwendet westliche Triebwerke, was China sehr verwundbar macht. Sollten die USA gegen China ähnliche Sanktionen wie gegen uns verhängen, würden all ihre Flugzeuge stillgelegt – sowohl die ausländischen als auch die chinesischen. Und sie könnten diese technologische Herausforderung nicht bewältigen, da sie keine eigenen Triebwerke haben. Wir hingegen schon. Es geht also nicht nur darum, selbst Flugzeuge zu bauen, sondern auch darum, unabhängig zu sein”, schließt der Gesprächspartner.
Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel erschien zuerst am 21. November 2024 auf der Webseite der Zeitung Wsgljad.
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