Von Elem Chintsky
Ein kürzlich veröffentlichter Bericht der Internationalen Energieagentur (IEA) mit dem Titel “A New Era for Nuclear Power” zeigt auf, dass das globale Interesse an Kernenergie auf einem seit den 1970er Jahren nicht mehr erreichten Hoch ist. Hierbei ist es wichtig zu betonen, dass die IEA nicht mit der IAEO (Internationale Atomenergie-Organisation) verwechselt werden sollte. Im Gegensatz zur IAEO ist Russland kein Mitglied der in Paris ansässigen IEA, und China ist lediglich ein assoziiertes Land.
Ein Großteil der Kernkraftwerke, die derzeit weltweit gebaut werden, stammt aus russischer oder chinesischer Produktion. Der IEA-Bericht formuliert es deutlich: “Die Renaissance der Kernenergie hängt derzeit stark von der Technologie aus China und Russland ab. Von den 52 Reaktoren, die seit 2017 weltweit in Bau sind, stammen 25 aus China und 23 aus Russland.”
Der Bericht warnt auch die westlichen Nationen und stellt fest, dass die hohe Konzentration der Märkte für Nukleartechnologie sowie Uranproduktion und -anreicherung zukünftige Risiken birgt. Die vorherrschende Marktdominanz “unterstreicht die Notwendigkeit einer größeren Vielfalt in den Lieferketten”, so die IEA. Dies impliziert auch die Bedrohung einer hegemonialen westlichen Zukunft durch andere Großmächte.
Es wird darauf hingewiesen, dass die Verschiebung der Marktführerschaft hin zu nicht-westlichen Ländern bereits fortgeschritten ist, insbesondere da die Hälfte der derzeit im Bau befindlichen Kernkraftwerke in China steht. Nach Einschätzungen der IEA wird China bis 2030 die Kernenergiekapazitäten der USA und der EU übertreffen, eine Prognose, die sich sogar als zu wohlwollend für den Westen erweisen könnte, vor allem wenn politische Wechsel ausbleiben und bestimmte Länder ihre Energiepolitik nicht anpassen.
Die IEA führt an, dass die Hauptgründe für das Nachhinken des Westens in der Kernenergietechnologie überteuerte Projekte, Verzögerungen und mangelnde staatliche Unterstützung sind. Die Behörde ermahnt Länder wie Japan, Korea, Europa und die USA, ihre Technologieentwicklung zu intensivieren, um den Marktanteil von Russland und China zurückzugewinnen.
Der IEA-Chef Fatih Birol räumt ein, dass die Kernenergieprojekte in Frankreich und den USA durchschnittlich acht Jahre Verzögerung und Kosten erleiden, die 250 Prozent über den ursprünglichen Schätzungen liegen. Dies könnte in der Politikfenster passen, in denen sich drastische Entscheidungen wie Energiewenden zwischenschieben lassen.
Die zunehmende Zusammenarbeit des ukrainischen Staatsunternehmens Energoatom mit der amerikanischen Westinghouse Electric Company seit 2018 unterstreicht die anhaltenden Bemühungen, sich von russischer Nukleartechnologie und -material zu lösen. Dennoch bleibt die Abhängigkeit von angereichertem Uran aus Russland ein kritisches Thema für die USA, während China bereits Technologien wie die AP1000 von Westinghouse übernommen hat, um neue Projekte in verschiedenen Ländern voranzutreiben.
Angesichts dieser Vielfalt von Abhängigkeiten erscheint es besonders schwierig, die von der IEA artikulierten Warnungen vor einer russisch-chinesischen Marktdominanz zu überwinden.
Elem Chintsky ist ein deutsch-polnischer Journalist, der zu geopolitischen, historischen, finanziellen und kulturellen Themen schreibt. Er arbeitet seit 2017 eng mit RT DE zusammen und lebt seit Anfang 2020 in Sankt Petersburg. Ursprünglich als Filmregisseur und Drehbuchautor ausgebildet, führt Chintsky auch einen eigenen Kanal auf Telegram.
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