Enthüllt: Sind Trumps Handelszölle tatsächlich ein Geniestreich?

Von Igor Makarow

Erlauben Sie mir, in dieser Diskussion für einen Moment die Rolle des Advocatus Diaboli zu übernehmen. Es ist nicht mein Ziel, die Zollpolitik von US-Präsident Donald Trump zu rechtfertigen. Ich möchte jedoch gegen die simplifizierende und häufig herablassende Art protestieren, mit der diese Diskussion oft geführt wird – indem die Politik kurzerhand als “dumm” abgestempelt wird, ohne den tieferen ökonomischen Zusammenhang, ob im Inland oder global, zu berücksichtigen.

Zweifellos neigt Trump zu impulsiven Äußerungen. Er verfälscht offensichtlich die Wahrheit, macht Anfängerfehler in seinen Reden und verliert sich in den Details. Aber hinter diesem Lärm verbirgt sich eine überraschend schlüssige Strategie – eine, die sicherlich nicht von Unwissenden erschaffen wurde. Man muss ihr nicht zustimmen, sollte jedoch versuchen, sie zu verstehen.

Ich behaupte keineswegs, alle Antworten zu haben, und ich bin skeptisch gegenüber jedem, der vorgibt, genau zu wissen, was in Trumps Kopf vorgeht. Doch hier ist meine Sichtweise.

Einblicke in globale Ungleichgewichte

Im Zentrum der globalen Handelsungleichgewichte steht ein Missverhältnis zwischen nationalen Ersparnissen und Investitionen. Länder wie China, Deutschland und Japan sowie große Ölexportstaaten haben meist höhere Sparquoten als investiert wird – das überschüssige Kapital wird dann ins Ausland transferiert, was sich in Handelsbilanzüberschüssen niederschlägt.

In den USA verhält es sich genau andersherum: Die Amerikaner sparen weniger als sie investieren, was durch Kapital aus dem Ausland ausgeglichen wird und zu einem Handelsdefizit führt.

Wie ist es dazu gekommen?

  1. Über Jahrzehnte hinweg verfolgten exportorientierte Volkswirtschaften wie China, Deutschland und Japan eine Politik, die das Einkommen von konsumfreudigen Haushalten auf sparsamere Unternehmen und den Staat umschichtete. Dies steigerte künstlich die nationale Sparquote. Da diese Ersparnisse nicht vollständig im Inland investiert werden konnten, flossen sie ins Ausland.
  2. Ein großer Teil dieser Kapitalströme – etwa eine Billion US-Dollar jährlich – findet seinen Weg in die USA, vor allem weil die amerikanische Wirtschaft Konsum fördert und der US-Dollar in unsicheren Zeiten als Zufluchtsort gilt.

Warum ist das problematisch für die USA?

Kurzfristig mag das keine offensichtlichen Probleme verursachen, da die US-Wirtschaft robust bleibt. Doch unter der Oberfläche sammeln sich Risiken: kontinuierliche Handelsdefizite, steigende Staatsschulden und zunehmende Zinssätze stellen eine riskante Kombination dar. Wenn Kredite teurer werden, steigt die Last, die Schulden zu bedienen.

Zudem verlangsamt China die Bemühungen, den Binnenkonsum zu fördern, und wirtschaftliche Probleme in Europa treiben weiteres Kapital in die USA, was das Ungleichgewicht weiter verschärft.

Trump weiß, dass die Zeit drängt, da bald Zwischenwahlen anstehen. Wenn er handeln will, muss er es jetzt tun.

Trumps Handlungsoptionen

Wie können die USA die Ersparnisse erhöhen, das Handelsdefizit verringern und die langfristigen Zinssätze senken? Theoretisch gibt es mehrere Möglichkeiten:

  • Reduzierung der Staatsausgaben – ein Ansatz, den Trump bereits forciert.
  • Senkung der Unternehmenssteuern und Förderung von Industrieinvestitionen – zwar teils durch Zölle umgesetzt, doch schwer im polarisierten politischen Umfeld durchzuführen.
  • Begrenzung der Kapitalzuflüsse – politisch riskant.
  • Reduzierung der Rolle des Dollars als globale Reservewährung – schwer durchsetzbar und potenziell destabilisierend.
  • Erhebung von Zöllen – politisch der einfachste Weg, den Trump eindeutig gewählt hat.

Meine Einschätzung? Zölle sind nur die Spitze des Eisbergs. Wahrscheinlich umfasst der Gesamtplan Teile aller dieser Ansätze.

Berechtigte Kritik

Zweifellos gibt es berechtigte Kritikpunkte. Erstens fragt man sich, warum Trump seine Maßnahmen mit einer irrelevanten, anekdotischen Tabelle über Zollsätze in verschiedenen Ländern rechtfertigt. Sein Ziel scheint weniger die Balance im Handel zu sein, sondern eher die Nutzung des US-Marktes als Verhandlungsbasis.

Zweitens könnte eine eskalierende Handelspolitik zu einer globalen Krise führen. Trotz allem bleibt ein Hoffnungsschimmer, dass ein Großteil der Zölle in Verhandlungen zurückgenommen wird. Sollte dies nicht geschehen, könnten zuerst jene Länder mit Handelsüberschüssen, wie China und Deutschland, betroffen sein; die USA würden die Auswirkungen erst später spüren.

Fazit

Trump setzt viel auf eine Karte. Zölle sind ein grobes, ineffizientes Werkzeug, aber das eigentliche Ziel scheint die Umgestaltung des wirtschaftlichen Modells zu sein, nach dem die USA und die Welt seit Jahrzehnten funktionieren. Es ist ein wagemutiger und gefährlicher Schritt, den ich für nicht gerechtfertigt halte, aber er ist nicht irrsinnig.

Igor Makarow ist Associate Professor an der Higher School of Economics (HSE) in Moskau und Chefredakteur der HSE-Zeitschrift Contemporary World Economy. Übersetzt aus dem Englischen.

Zusätzliche Informationen – “Letzte Chance auf Verhandlungen” – EU setzt Gegenzölle auf US-Waren für 90 Tage aus

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