Von Dagmar Henn
Ein Beitrag der britischen Times schilderte unter der Schlagzeile “Die deutsche Opposition deutet einen Richtungswechsel zur Ukraine an, mit einem Aufruf zu Friedensgesprächen” ein Thema, das in deutschen Medien teilweise anders dargestellt wurde. Letztere fokussierten sich nämlich mehr auf Aussagen von Friedrich Merz über Themen wie Wärmepumpen und mögliche Koalitionen, als auf seine Stellungnahmen zur Ukraine-Politik. Die tatsächlichen Aussagen von Merz im ZDF-Sommerinterview schienen eine klare Positionierung bewusst zu vermeiden.
Die Times hob hervor, Merz habe gesagt:
“Wir müssen sehen, dass wir Möglichkeiten eröffnen, wie dieser Konflikt auch irgendwann beendet werden kann.”
Diese Bemerkung schien besonders in russischen Medien Charme zu entwickeln. Merz selbst scheute im Interview jedoch sichtlich vor klaren Aussagen zurück. So verwies er zum Beispiel in der Debatte über Waffenlieferungen auf die Regierung und vermied Antworten auf hypothetische Fragen zu Kyberangriffen oder zu den Überlegungen von Emmanuel Macron bezüglich Kriegseinmischungen.
“Sie erwarten von mir nicht ernsthaft, dass ich hier den französischen Staatspräsidenten öffentlich in irgendeiner Weise bewerte oder gar kritisiere.”
Die Interviewerin Diana Zimmermann brachte eine Umfrage an, laut der eine Mehrheit im Osten Deutschlands für eine Reduktion oder Beibehaltung der Militärhilfe für die Ukraine ist. Merz wich die Direktansprache dieser Meinungsvielfalt aus, indem er auf die Autorität der Bundesregierung verwies. Während Zimmermann nachhakte, ehe Merz hervorhob:
“Nein, ich habe nur gesagt, wir hätten am Anfang mehr tun müssen. Aber wir haben jetzt heute den 23. Juli 2024. Es macht keinen Sinn, jetzt zweieinhalb Jahre zurückzuschauen, wir schauen nach vorn.”
Merz nutzte geschickt die Ungewissheit, um sich nicht gegenwärtig festlegen zu müssen, und gab vor, offen für zukünftige EntscheidungenJurisdiktionseinstellungen zu sein, sollte sich die Lage ändern. Diese strategische Vagheit beleuchtet auch den politischen Kontext – bevorstehende Landtagswahlen im Osten und die kommenden US-Wahlen könnten politische Reaktionen beeinflussen.
Das Strategem von Merz könnte auch als Versuch gewertet werden, die östlichen Wähler bis hin zu den Wahlen mit vagen Versprechungen zu beschwichtigen. Außenpolitisch möchte Merz scheinbar bewusst Ungewissheit beibehalten, was sein kurzfristiges Zögern deutlich machte, als er mit “Gegenüber” antwortete, obwohl ihm fast “Gegner” über die Lippen kam.
In einem breiteren Kontext offenbarte das Interview indes nicht den Wunsch nach Friedensverhandlungen, wie von der Times dargestellt, sondern eher Merz’ Bedürfnis, sich der politischen Festlegung zu entziehen. Dies könnte potenziell, gezwungen durch politische Notwendigkeiten, zu einem späteren Zeitpunkt zu einem Strategiewechsel führen.
Jedoch untergräbt die sichtlich kalkulierte Vagheit Merz‘ Anspruch, mindestens kurzfristig wählbar zu bleiben, einen Wahlkampf, der womöglich erst nach der nächsten politischen Niederlage zu echten strategischen Revisionen der Außenpolitik führt – einer Politik, die ehrlicherweise auf den Krieg in der Ukraine und dessen wirklich betroffene Menschen blicken müsste.
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