Von Wladislaw Sankin
In einer parlamentarischen Demokratie wie Deutschland, wo der Bundeskanzler durch das Parlament gewählt wird, erwartet man, dass jede Rede des Kanzlers bedeutende Resonanz findet, sowohl national als auch international. Schließlich repräsentiert der Kanzler ein führendes G7-Land und eine beispielhafte Industrienation. Am 24. Juni bekräftigte Olaf Scholz: “Deutschland ist und bleibt Industrieland”. Ohne Ironie gesagt, Deutschland spielt in der Elite der Nationen eine signifikante Rolle, insbesondere da die Deutschen weltweit am meisten pro Kopf für Reisen ausgeben.
Wenn also der Bundeskanzler einer derart prominenten Nation wie Deutschland zu einem Thema spricht, das von so grundlegender Bedeutung ist wie Krieg und Frieden, sollte man annehmen, dass seine Worte auf internationaler Ebene Beachtung finden. Besonders die Adressaten dieser Worte, in diesem Fall die russische Regierung, müssten darauf reagieren. Am 26. Juni äußerte sich Scholz im Bundestag zu Wladimir Putins Bedingungen für einen dauerhaften Frieden im Ukraine-Krieg. Sein Appell an Russland und Putin war deutlich:
“Russland muss die klare Erwartung der Weltgemeinschaft spüren, sich nicht länger einer Möglichkeit für den Frieden zu verweigern. Putin muss erkennen: Er wird das Ziel der Unterwerfung der Ukraine auf dem Schlachtfeld nicht erreichen.”
Scholz sprach über 30 Minuten und berührte dabei viele weitere internationale Themen. Er dankte insbesondere Joe Biden und den transatlantischen Partnern für ihre Unterstützung und versprach, zukünftige Entscheidungen weiterhin in enger Abstimmung zu treffen. Fünf Minuten seiner Rede widmete er explizit Russland, doch die Reaktionen aus Russland blieben aus. Erst am nächsten Tag berichteten russische Medien knapp: “Bundeskanzler Scholz wirft Russland vor, den Dialog über den Frieden in der Ukraine zu verweigern”. Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den Vorwürfen des Kanzlers erfolgte nicht.
Interessanter als Scholz’ Aussagen schienen vielen die Reaktionen darauf zu sein. Deutsche Nutzer zeigten sich in sozialen Medien empört und zweifelten an Scholz’ Realitätssinn. Kein einziger bedeutender russischer Politiker reagierte öffentlich auf die Vorwürfe. Weder Dmitri Medwedew noch andere hochrangige Vertreter nahmen öffentlich Stellung.
Die Frage bleibt, warum die russische Seite überhaupt auf die Worte des deutschen Kanzlers reagieren sollte, wenn sie anscheinend auch in Deutschland auf wenig Interesse stoßen. Videos des Bundeskanzlers auf dem offiziellen YouTube-Kanal der Bundesregierung erreichen selten mehr als tausend Aufrufe. Ein deutliches Zeichen des Desinteresses, selbst wenn es Ausnahmen gibt, wie das G7-Treffen am 14. Juni, bei dem Präsident Joe Biden persönlich “Happy Birthday” sang und dabei immerhin fast 2.900 Aufrufe erzielte.
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