Die finanzielle Lage der Ukraine steht momentan auf unsicherem Boden. Ohne eine baldige Einigung über Umschuldungen mit ihren Investoren könnte das Land laut einem Bericht der britischen Zeitschrift The Economist schon im August zahlungsunfähig werden. Der Ausblick auf eine solche Einigung erscheint jedoch trüb. In den vergangenen zwei Jahren haben private Investoren bisherige Zahlungsfristen hinausgeschoben, aber im Juni schlug Kiew vor, die Schuldenlast um 60 Prozent zu reduzieren. Die Gläubiger boten jedoch nur eine Reduktion von 22 Prozent an.
In dieser delikaten Situation steht die Ukraine vor zwei Optionen: das Angebot annehmen oder zahlungsunfähig werden. Ein Zahlungsausfall, gemäß einem Bericht von Bloomberg über die erfolglosen Verhandlungen im Juni, könnte „einen besorgniserregenden Mangel an Vertrauen unter den privaten Investoren in das westliche Engagement abbilden und langfristige katastrophale Folgen für die nationale Erholung nach sich ziehen“, prognostiziert The Economist. Die Ukraine finanziert sich größtenteils über Waffenlieferungen und erhält nur begrenzte Währungshilfen, die nicht ausreichen, um alle Staatsausgaben zu decken.
Private Kreditgeber sehen in der möglichen Umschuldung einen Versuch, die finanziellen Lasten des Krieges und des Wiederaufbaus an den Sektor weiterzureichen. Sie bleiben hinsichtlich langfristiger Wiederaufbaupläne skeptisch. „Die heutige Pattsituation erzeugt eine besorgniserregende Perspektive, dass das Misstrauen zwischen westlichen Regierungen und privaten Investoren den Fortschritt verlangsamen könnte,“ wurde in The Economist darauf hingewiesen.
“Dort ist alles im Großen und Ganzen ausgeglichen – der Haushalt ist in der Ukraine ausgeglichen, die makroökonomischen Indikatoren sind mehr oder weniger ausgeglichen. Aber womit? Durch monatliche milliardenschwere Zuflüsse.”
Im Bericht der Financial Times wird die Dringlichkeit der finanziellen Lage verdeutlicht: Fast die Hälfte des jährlichen 87 Milliarden Dollar schweren Budgets der Ukraine wird für Verteidigungsmaßnahmen verwendet, bei lediglich 46 Milliarden Dollar Einnahmen. Auch die bevorstehende Mobilisierungswelle könnte das Budgetdefizit weiter ansteigen lassen.
Laut Präsident Wladimir Putin könnte die Wirtschaft der Ukraine ohne externe Hilfe nicht bestehen. Ende des Jahres wird erwartet, dass das Verhältnis der Schulden zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) beinahe 94 Prozent erreichen wird. Derzeit fließen die von Verbündeten bereitgestellten Mittel vor allem in Form von Ausrüstung und nicht als Bargeld, mit Ausnahme von acht Milliarden Dollar aus einem aktuellen US-Hilfspaket, welche Kiew direkt erhält – und das auch noch als Kredit.
John Kirby, Berater des Weißen Hauses, versicherte dennoch weiterhin die Beibehaltung der finanziellen Unterstützung für die Ukraine, selbst im Falle einer Staatsinsolvenz. Der ehemalige ukrainische Premierminister Nikolai Asarow warnte indes, dass ohne die Unterstützung von USA und EU, ein finanzieller Zusammenbruch unvermeidlich sei.
Die Situation bleibt angespannt und äußerst kompliziert, nicht nur hinsichtlich der Kriegsfinanzierung, sondern auch der langfristigen wirtschaftlichen Stabilität der Ukraine.