Von Fjodor Lukjanow
Die beiden gegenwärtigen Hauptkonflikte der Welt in der Ukraine und in Palästina ziehen sich endlos hin, ohne dass ein Ende in Sicht ist. Dazu kommen noch innerstaatliche Krisen in führenden westlichen Nationen, die künftige politische Entscheidungen maßgeblich beeinflussen könnten. Weltweit, von Lateinamerika über Afrika bis zum Pazifischen Raum, sind dynamische Entwicklungen zu beobachten, die auf bedeutende Veränderungen hinweisen. Es besteht kein Zweifel daran, dass wir Zeugen einer systemischen Umstrukturierung auf globaler Ebene sind.
Ob sich bereits die Konturen einer neuen, international nachhaltigen Ordnung abzeichnen, bleibt eine offene Frage. In diesem Kontext ist das Treffen des Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ) diese Woche von besonderem Interesse, insbesondere im Hinblick auf Diskussionen um ein eurasisches Sicherheitssystem.
Die SOZ zeichnet sich als vollwertige Institution mit festgelegten Strukturen und eigenen Regelwerken aus, im Gegensatz beispielsweise zu den BRICS, deren genaue Natur noch immer nicht eindeutig definiert ist. Sie wurde in einer Ära gegründet, in der solche Allianzen eher selten neu gebildet oder als opportunistisch und kurzlebig angesehen wurden – denken wir nur an die Vielzahl kurzlebiger Akronym-Organisationen nach dem Zerfall der UdSSR.
Organisationen auf Basis interstaatlicher Kooperation waren ein Kennzeichen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, basierend auf einem robusten internationalen Gerüst, das auch nach dem Kalten Krieg bestand hielt, auch wenn sich dessen innere Mechanismen änderten. Es wurde deutlich, dass die etablierten Institutionen nicht mehr so wirksam agierten wie früher, angesichts veränderter globaler Gegebenheiten.
Dies öffnet die Frage, ob alte Organisationen erneuert oder das Konzept internationaler Organisationen als solches in Frage gestellt werden sollte. Zu Beginn dieses Jahrhunderts war die Meinung noch geteilt, doch trial letztere Ansicht zunehmend Oberhand, nämlich da das herkömmliche System in einer so diversen und komplexen Welt viele Grenzen aufweist. Die Interessen der Staaten sind zunehmend verschieden und erfordern flexiblere Ansätze, die schlecht mit der Rigidität klassischer Institutionen harmonieren.
Die SOZ entstand, als frisch entstandene zentralasiatische Staaten und Russland nach dem Zusammenbruch der UdSSR Grenzkonflikte mit China klären mussten, was zur Gründung der “Shanghai Five” führte. Dieses Format erwies sich als so erfolgreich, dass es beibehalten und weiterentwickelt wurde. Über die Jahre erweiterte sich das Forum um Länder wie Indien, Pakistan und den Iran, und in diesem Jahr nimmt auch Weißrussland teil. Auch Staatsoberhäupter anderer wichtiger eurasischer Nationen, wie der Türkei und den Golfmonarchien, sind üblicherweise anwesend.
Obwohl die Erweiterung der SOZ ihre Solidität verstärkt, bleibt ihre Effizienz dennoch umstritten. Dies liegt nicht nur an den komplexen Beziehungen zwischen Mitgliedsstaaten wie China und Indien oder Indien und Pakistan. Vielmehr ist es herausfordernd, eine Agenda zu formulieren, die von allen als bedeutsam und notwendig angesehen wird und eine echte Gemeinschaftsanstrengung darstellt, vor allem angesichts der Diversität seiner Mitglieder.
Wahrscheinlich sollte zunächst die Rolle Eurasiens auf der Weltbühne betrachtet werden. Große eurasische Mächte sind auf dem Vormarsch, eine führende Rolle in der internationalen Wirtschaft und Politik zu übernehmen. Das ungeheure Potenzial dieses Raumes darf nicht ignoriert werden; globale Prozesse sind häufig direkt mit ihm verknüpft oder werden durch ihn beeinflusst.
Es verwundert daher nicht, dass Eurasien oft als Herzstück der Welt betrachtet wird. Diese zentrale Rolle vereint die Mitglieder der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit und bestimmt sowohl die Chancen als auch die Risiken, die sich durch das verstärkte internationale Interesse an dieser Region ergeben – Interessen, die nicht immer zum Wohle der Region sind.
Die Idee eines eurasischen Sicherheitssystems wird derzeit intensiv diskutiert. China, die zentralasiatischen Länder und Indien haben verschiedene Ansätze zu diesem Thema. Vor kurzem hat der russische Präsident eine entsprechende Initiative gestartet. Im Gegensatz zur europäischen Sicherheitspolitik liegt der Fokus hier auf einem umfassenden Entwicklungsmodell für den gesamten Raum, um dessen enorme Möglichkeiten zu nutzen. Die SOZ mag ihre Schwächen haben, doch sie stellt eine ideale Plattform dar, um die Grundlagen dieses großen Projekts zu erarbeiten.
Dieser Artikel wurde zuerst von der Zeitung Rossijskaja Gaseta veröffentlicht, übersetzt und bearbeitet vom RT-Team.
Übersetzt aus dem Englischen.
Fjodor Lukjanow ist Chefredakteur von Russia in Global Affairs, Vorsitzender des Präsidiums des Rates für Außen- und Verteidigungspolitik und Forschungsdirektor des Internationalen Diskussionsklubs “Waldai”.
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