Von Vadim Zagorenko
Die fiktive Darstellung von Spionen als edle, intelligente und einfallsreiche Helden wirkt heutzutage nicht mehr sehr überzeugend. Selbst die neueste Interpretation der Figur des James Bond ist alles andere als perfekt. Heutzutage sind die Menschen eher fasziniert von “unvollkommenen” Agenten und von “gescheiterten” Missionen.
Vielleicht hängt dies damit zusammen, dass Geheimdienste mittlerweile in einem anderen Licht betrachtet werden. Während des Kalten Krieges galten Geheimdienstler oft als mutige Verteidiger des Vaterlandes, die ihr Land vor Bedrohungen von außen beschützen. Doch die Dinge änderten sich mit der Zeit – spätestens als die Öffentlichkeit erfahren musste, dass diese Geheimdienstbehörden tatsächlich oft Verbündete ausspionierten und fragwürdige Experimente an ihren Mitbürgern durchführten. Auf einmal war es vorbei mit dem Heldenstatus.
Fehler und Fehlverhalten wirken sich besonders negativ auf den Ruf eines Geheimdienstes aus. Einer der schlimmsten Misserfolge in der Geschichte der US-Geheimdienste kam vor 30 Jahren ans Licht. Im Jahr 1994 wurde bekannt, dass sich ein CIA-Agent dem KGB angedient hatte, der für den Kontakt zu sowjetischen Informanten verantwortlich war. Durch diesen Verrat wurde jahrelange Aufbauarbeit der CIA zunichtegemacht.
Der Name des CIA-Agenten war Aldrich Ames und er beging den Verrat an den USA, um sich und seinen Frauen einen luxuriösen Lebensstil zu ermöglichen. Bestimmten Meinungen zufolge waren die Auswirkungen des Falles Aldrich Ames das Schlimmste, was einem Geheimdienst widerfahren konnte – fast so schlimm wie eine Niederlage in einem veritablen Krieg.
Eine sanfte Rekrutierung
Die Rekrutierung von Ausländern, die Zugang zu geheimen Informationen hatten, begann schon lange vor dem Kalten Krieg und war nicht bloß das Ergebnis der Rivalität zwischen der UdSSR und den USA. Beispielsweise rekrutierten Offiziere des NKWD – der Vorgängerbehörde des KGB – in den 1930er-Jahren die sogenannten “Cambridge Five” – fünf hochrangige britische Staatsbeamte, die alle einen Abschluss von der Universität Cambridge vorweisen konnten, und die fast 20 Jahre lang geheime britische Regierungsdokumente an Moskau weitergaben.
Das wertvollste Mitglied der Cambridge Five war Kim Philby, ein Agent des britischen Auslandsgeheimdienstes MI6. Unter anderem warnte er den sowjetischen Geheimdienst vor der “Operation Valuable” (zu Deutsch: “Operation Wertvoll”) – einem erfolglosen angloamerikanischen Versuch, die kommunistische Regierung in Albanien zu stürzen. Im Laufe der Zeit wurden die Cambridge Five jedoch enttarnt und ihre Mitglieder flohen in die UdSSR, wo sie weiterhin in den Bereichen Diplomatie und Geheimdienst arbeiteten. Die Sowjetunion gab sogar eine Briefmarke mit dem Porträt von Philby heraus, auf der er als “sowjetischer Geheimdienstoffizier” betitelt wurde.
Der sowjetische Geheimdienst suchte in vielen Ländern nach “Maulwürfen”. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde besonderes Augenmerk auf die Mitgliedsländer der sogenannten “Five Eyes” (zu Deutsch: Fünf Augen) gelegt – einer Geheimdienstallianz, bestehend aus den USA, Großbritannien, Australien, Kanada und Neuseeland. Auch im geteilten Nachkriegsdeutschland war die Rivalität zwischen den Geheimdiensten intensiv. Aber natürlich bildeten die USA das Hauptinteresse der Sowjetunion und dafür war die Erste Abteilung der Ersten Hauptdirektion des KGB zuständig.
Die Taktik und das Vorgehen des KGB waren recht simpel. In der Geschichte dieser Behörde gab es keine bizarren Episoden wie jene des chinesischen Spions Shi Pei Pu, der sich 20 Jahre lang als Frau ausgab, um einem französischen Diplomaten geheime Informationen zu entlocken. Maulwürfe wurden in der Regel durch sogenannte “Residenten” rekrutiert – Agenten, die im Ausland arbeiteten, typischerweise getarnt als Botschaftspersonal oder als Mitarbeiter von Handelsmissionen.
Die Residenten suchten gezielt nach frustrierten Mitarbeitern ausländischer Regierungsbehörden und boten ihnen schließlich an, gegen eine großzügige Belohnung für den KGB zu arbeiten. In nicht wenigen Fällen – wie im Fall der Cambridge Five – stimmten die Maulwürfe nicht nur des Geldes wegen der Spionage zu, sondern auch aus ideologischen Sympathien für die UdSSR. Die Rekrutierung von Aldrich Ames verlief jedoch nicht nach der üblichen Praxis. Er kam von sich aus zum KGB und bot sich freiwillig als Spion an, obwohl sich vonseiten des KGB niemand je zuvor an ihn gewandt hatte.
Der talentierte Herr Ames
Aldrich Ames wurde 1941 im Bundesstaat Wisconsin geboren. Sein Vater war Verwaltungsangestellter bei der CIA, was vielleicht der Grund dafür war, dass Ames ab seinem 16. Lebensjahr dort in Teilzeit zu arbeiten begann. Ames hatte eine Vorliebe dafür, fremde Kulturen zu studieren und war ein leidenschaftlicher Laienschauspieler. Doch sein Studium an der Universität von Chicago und seine Versuche, in örtlichen Theatern Engagements zu finden, scheiterten. Somit kehrte er als ziviler Angestellter zur CIA zurück, schloss später erfolgreich eine Berufsausbildung ab und wurde schließlich Agent bei der CIA.
Im Jahr 1969 wurde Ames in die Türkei beordert, um dort Informanten zu rekrutieren. Es gelang ihm zwar, die Föderation der Revolutionären Jugend der Türkei zu infiltrieren, doch innerhalb seiner drei Jahre, die er in der Türkei im Einsatz war, konnte er keine nennenswerten Ergebnisse erzielen. Auf Empfehlung seiner Vorgesetzten erhielt Ames anschließend analytische und administrative Aufgaben im CIA-Hauptquartier in Langley im Bundesstaat Virginia.
Trotz des Rückschlags in der Türkei nahm die Karriere von Ames nach seiner Rückkehr in die USA an Fahrt auf. Er trat einen Posten in der Abteilung an, die für die Sowjetunion und Osteuropa zuständig war. Er lernte Russisch, erhielt positive Leistungsbeurteilungen und wurde schließlich befördert. Im Jahr 1976 begann er, mit sowjetischen Maulwürfen zu arbeiten und machte sich mit den Taktiken des KGB vertraut. Ames war jedoch bei der Erstellung von Berichten – insbesondere bei solchen, in denen es um finanzielle Angelegenheiten ging – etwas nachlässig und ließ Sicherheitsvorkehrungen außer Acht. Als er eines Tages unterwegs zu einem Treffen mit einem Informanten war, ließ er seine Aktentasche mit geheimen Unterlagen in einem U-Bahn-Wagen liegen. Die Aktentasche konnte später zwar wiederbeschafft werden, aber niemand weiß, wer in der Zwischenzeit hineingeschaut hatte.
Diese Vorfälle beeinträchtigten jedoch nicht die Entwicklung seiner Karriere und so wurde Ames 1981 nach Mexiko beordert. Aber auch dieser Einsatz war kein wirklicher Erfolg, obwohl Ames durchaus eine ereignisreiche Zeit hatte. Er trank viel, geriet sogar in eine Schlägerei mit einem kubanischen Agenten – und betrog seine Ehefrau, die ebenfalls für die CIA arbeitete. Später lernte er dort eine Frau namens Maria del Rosario kennen, die als Kulturattaché in der kolumbianischen Botschaft diente und die seine zweite Frau werden sollte.
Aber auch der Misserfolg in Mexiko und sein fragwürdiges professionelles Verhalten hinderten Ames nicht daran, seine Karriere voranzutreiben – er informierte seine Vorgesetzten zum Beispiel nicht über seine Affäre mit einer Ausländerin, was einen Verstoß gegen den internen Verhaltenskodex der CIA darstellte. Seine Vorgesetzten schätzten seine analytischen Fähigkeiten und seine Bereitschaft, Aufgaben zu übernehmen, die andere lieber nicht übernehmen wollten. Im Jahr 1983 wurde er in die Abteilung versetzt, die sich mit Spionageabwehr beschäftigte. Dort erhielt Ames Zugang zu Informationen über CIA-Operationen gegen den sowjetischen Geheimdienst und zu Namen von sowjetischen Informanten.
Zu dieser Zeit geriet Ames in finanzielle Probleme. Die Scheidung von seiner ersten Frau endete kostspielig, und seine zweite Frau war an einen luxuriösen Lebensstil gewöhnt, sodass Ames kurz vor der Insolvenz stand. Sein Gehalt, das er von der CIA bezog, reichte vorne und hinten nicht für seine Bedürfnisse aus. Somit beschloss Ames, sein Gehalt auf andere Weise aufzubessern. Im April 1985 ging er zur Botschaft der UdSSR in Washington, wo, wie er wusste, auch Agenten des KGB tätig waren. Dort hinterließ er am Empfangsschalter einen Umschlag, in dem sich seine Kontaktinformationen, Auszüge aus geheimen Dokumenten und die Forderung von 50.000 US-Dollar für eine weitere Zusammenarbeit befanden.
Säuberungen und eine verdächtige Zahnbehandlung
Bald darauf begannen die sowjetischen Informanten der CIA einer nach dem anderen von der Bildfläche zu verschwinden. Sie wurden verhaftet, verhört, und die meisten wurden des Hochverrats beschuldigt und infolge eingesperrt oder hingerichtet. Innerhalb von zwei Jahren verlor die CIA über 30 ihrer Maulwürfe – de facto den Großteil ihres Netzwerks an sowjetischen Informanten, wodurch der Fluss geheimer Informationen aus der UdSSR praktisch zum Erliegen kam.
Diese “Säuberungen” erfolgten, nachdem Ames dem KGB verschiedene Dokumente zur Verfügung gestellt hatte, die Informationen über Maulwürfe und über geheime Operationen der CIA enthielten. Für die CIA war es ein besonders schwerer Schlag, dermaßen wichtige Quellen zu verlieren, wie zum Beispiel den Ingenieur Adolf Tolkatschew, der Informationen über neue sowjetische Raketensysteme und Kampfflugzeuge an die CIA weitergab. Oder den General Dmitri Poljakow von der Hauptdirektion für Geheimdienste (GRU), dessen Aufgabe es war, sowjetische Informanten der USA ausfindig zu machen und zu entlarven. Beide wurden hingerichtet. Außerdem deuteten einige der von Ames weitergegebenen Informationen darauf hin, dass der Chef des KGB-Ablegers in London, Oleg Gordijwski, geheime Dokumente an die britische Regierung weitergegeben hatte. Es ist jedoch bis heute nicht ganz klar, wie Gordijwski tatsächlich enttarnt wurde.
Es war durchaus üblich, dass Geheimdienste hin und wieder Informanten verloren – die Maulwürfe und ihre Führungsoffiziere mussten ständig mit dem Risiko leben, enttarnt zu werden. Aber eine derart unmittelbare und umfassende Säuberung war recht ungewöhnlich. Diese verhinderte, dass die CIA Zugang zu den Geheimnissen Moskaus erhielt und untergrub gleichzeitig den Ruf der legendären Behörde. Der sowjetische Geheimdienst hingegen signalisierte den westlichen “Kollegen” und den potenziellen Maulwürfen damit deutlich, dass man Verräter zeitnah identifizieren und neutralisieren kann.
Die CIA begann daraufhin zu vermuten, dass jemand innerhalb der eigenen Behörden dem KGB zuspielte, worauf im Jahr 1986 eine interne Untersuchung eingeleitet wurde.
Ames gefiel die Tatsache überhaupt nicht, dass die von ihm an die Sowjets übergebenen Informationen so leichtsinnig und zeitnah genutzt wurden, weil er automatisch unter Verdacht geraten würde, da er jemand war, der Zugang zu Informationen über Maulwürfe der CIA hatte. Seine Kontakte im KGB stimmten seinen Bedenken zu, behaupteten jedoch, ihnen seien die Hände gebunden – die Entscheidung, Verräter umgehend zu neutralisieren, würde “an der Spitze” getroffen.
Eine großzügige Belohnung konnte jedoch die angespannten Nerven von Ames beruhigen: Im Zuge seiner Zusammenarbeit mit dem KGB erhielt er insgesamt 4,6 Millionen US-Dollar. Als ihm klar wurde, dass sein plötzlicher Wohlstand verdächtig auffallen könnte, versuchte er, über die Verwandten seiner Frau das von den Sowjets erhaltene Geld zu waschen. Trotzdem gab Ames immer noch beträchtliche Summen mit vollen Händen aus: Er kaufte sich ein Haus im Wert von 540.000 US-Dollar, einen Sportwagen vom Typ Jaguar und bekleidete sich vornehmlich mit teurer Markenkleidung. Seine Kreditkartenzahlungen überstiegen sein Monatsgehalt um ein Vielfaches.
Die Liebe von Ames zum luxuriösen Leben hätte der CIA ein Hinweis sein sollen, durch den er früher hätte enttarnt werden können, aber er hatte sachunkundige Vorgesetzte. Der KGB seinerseits wollte seinen wertvollen Informanten schützen, weshalb ab Ende 1985 eine Desinformationskampagne lanciert wurde. Man ließ Informationen an die CIA und das FBI durchsickern, die den Anschein erwecken sollten, als wären ihre sowjetischen Quellen noch am Leben, jedoch eine weitere Zusammenarbeit verweigern würden. Oder dass sie aus anderen Gründen bestraft worden sind, die nichts mit Hochverrat zu tun hatten. Gleichzeitig führte der KGB die Ermittlungen der CIA und des FBI auf eine falsche Fährte, die auf einen anderen CIA-Agenten als mutmaßlichen Verräter hinwies.
Zusätzlich wurden die Ermittlungen durch das sogenannte “Angleton-Phänomen” verzögert und behindert – benannt nach dem damaligen Chef der Spionageabwehr der CIA, James Angleton. Dieser glaubte, dass davon ausgegangen werden muss, dass alle Geheimdienste unterwandert seien. Er verfolgte mögliche Verräter in der CIA dermaßen eifrig, dass es zu Konflikten innerhalb der Behörde kam und die Spionageabwehr intern bald kein gutes Ansehen mehr genoss. Lange Zeit weigerten sich Agenten sogar zu glauben, dass hochrangige Beamte so leichtfertig die Seite wechseln könnten.
Ames stand auf der Liste der Verdächtigen und musste sich sogar zweimal einem Test mit dem Lügendetektor unterziehen. Seine Antworten erregten zwar die Aufmerksamkeit der Ermittler, doch zu diesem Zeitpunkt kam es noch nicht zu einer endgültigen Entscheidung darüber, ob man gegen Ames ermitteln soll oder nicht. Ames arbeitete noch acht Jahre lang für die CIA. Im Jahr 1986 wurde er nach Rom versetzt. Dort begann er wieder stark zu trinken und mit seiner Arbeit zu hadern. Vier Jahre später, im Jahr 1990, wurde er in die Analysten-Gruppe des Zentrums für Spionageabwehr der CIA versetzt, wodurch er noch mehr Zugang zu sensiblen Informationen erhielt.
Schlussendlich wurde der Maulwurf der Sowjets wegen seines überschwänglichen Lebensstils entlarvt. Die Kollegen von Ames bemerkten, dass er ständig teure Kleidung trug und sich einer aufwendigen Behandlung seiner Zähne unterzogen hatte. Die Ermittlungen ergaben weiteren verdächtigen Luxus und Ames wurde unter Beobachtung gestellt.
Am 21. Februar 1994 wurde er schließlich zusammen mit seiner Ehefrau verhaftet. Zunächst bestritt Ames alle Anschuldigungen, die gegen ihn vorgebracht wurden. Doch dann ging er mit den Ermittlern einen Handel ein, um die Strafe für seine Ehepartnerin abzumildern. Vor Gericht gab er schließlich zu, dass er praktisch alle sowjetischen Agenten der CIA und anderer US-amerikanischer und ausländischer Dienste hat auffliegen lassen, von denen er aufgrund seiner hochrangigen Position bei der CIA wusste. Ames wurde zu einer lebenslangen Haft verurteilt und verbüßt seine Strafe bis heute noch in einer Bundesstrafanstalt in Terre Haute, Indiana.
Der Fall Ames fand in den Medien breite Beachtung und sorgte auch im Kongress für Aufruhr. Sogar die Kollegen vom FBI wandten sich gegen die CIA. Politik und Öffentlichkeit waren empört über die schlampigen Ermittlungen und die Tatsache, dass nach der Enttarnung von Ames niemand in der CIA zur Verantwortung gezogen wurde. Der damalige Direktor der CIA, James Woolsey, erklärte, es sei “nicht seine Art”, mit den Dingen umzugehen. Bald darauf musste er zurücktreten.
Aufgrund der intensiven Berichterstattung in den Medien brannte sich die Affäre den Bürgern der Vereinigten Staaten tief ins Gedächtnis ein und Ames gilt immer noch als der “verräterischste CIA-Agent” in der Geschichte der Behörde. Vielleicht ist das nicht ganz fair ihm gegenüber, da er nur deshalb so großen Schaden anrichten konnte, weil er ständig befördert wurde und somit Zugang zu immer geheimeren Informationen erhielt – und dafür hätten sicherlich einige seiner Vorgesetzten einen Teil der Schuld auf sich nehmen müssen.
Aus dem Englischen
Vadim Zagorenko ist ein in Moskau lebender Journalist mit Schwerpunkt auf internationalen Beziehungen und Technologie
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