Von Elem Chintsky
Zur Frühstückszeit im polnischen Staatsfernsehen TVP INFO wurde am Dienstagmorgen der stellvertretende Generalstabschef der polnischen Streitkräfte, der hohe polnische General Karol Dymanowski zum Gespräch geladen.
Anlass des Gesprächs waren die Staatsbesuche des polnischen Präsidenten Andrzej Duda und des polnischen Ministerpräsidenten Donald Tusk in den USA. Die Rede war vom diplomatischen Bezeugen und der Vergewisserung, dass die NATO-Allianz gestärkt und geeint bleibt – wobei aus Sicht des polnischen Staates die USA der Garant für die nukleare Abschreckung innerhalb eines Bündnisfalles in Ost- und Mitteleuropa bleiben.
Wohl die wichtigste Äußerung vom General Dymanowski war seine Feststellung darüber, wie viele NATO-Soldaten in Polen potenziell und in kürzester Zeit stationiert werden könnten. Der Moderator fragte den Generalstäbler:
“Wir haben etwa 10 oder 12 Tausend – wenn ich mich nicht irre – US-amerikanische Soldaten auf polnischem Gebiet. Aber es wäre sicher besser, wenn es 40, 50 oder 100 Tausend wären. Ist das möglich?”
Woraufhin Dymanowski erläuterte:
“Das ist möglich. Und das sind auch die Annahmen laut unserem neuesten NATO-Verteidigungsplan, der auf dem Gipfeltreffen in Vilnius bestätigt wurde. Und um Ihnen die Skala dieses NATO-Engagements zu verdeutlichen, sei gesagt, dass wir früher 40.000 dienstbereite Soldaten in der NATO-Sperrspitze hatten – nun sind es bereits 300.000, in hoher Bereitschaft. Sehr wichtig: Diese Soldaten kommen zu uns [ins Land], bevor der Krieg ausbricht, nicht erst danach.”
Dies diene in erster Linie der Abschreckung der Russischen Föderation, erläuterte Dymanowski weiter.
Dass der Moderator explizit von “US-amerikanischen Soldaten” und nicht generell von “NATO-Soldaten” gesprochen hatte, verlief sich in der wortreichen Antwort von Dymanowski etwas. Es sei denn, der stellvertretende Stabschef der polnischen Streitkräfte meinte tatsächlich “300.000 US-Soldaten in Polen”. Der Unterschied in dieser Kategorie ist bei aller Vorfreude auf die nahe Zukunft durchaus wichtig. Immerhin wären auch “nordmazedonische oder dänische Soldaten in Polen” gleichbedeutend mit “NATO-Soldaten in Polen”, wenn es darum geht, das gewünschte Pensum von 300.000 Soldaten zu erfüllen.
Im Interview mit Herrn General Dymanowski wurde mehrfach das 25-jährige Jubiläum der polnischen NATO-Mitgliedschaft gepriesen und als Beleg dafür herangezogen, dass Polen noch niemals “bessere Sicherheitsgarantien” genießen konnte als gerade jetzt.
Solche Gespräche in polnischen Massenmedien dienen dazu, jegliches Infragestellen der NATO als Institution so realitätsfern wie möglich aussehen zu lassen. Dass Donald Trump als damaliger US-Präsident im Jahr 2018 bereits kurz davor war, sein eigenes Land aus den Verpflichtungen dieses Nordatlantikpaktes zu entbinden, wird kaum noch thematisiert. Trumps jüngste Äußerungen im derzeit laufenden US-Vorwahlkampf über einen möglichen Rückzug der USA aus dem jetzigen NATO-Paradigma werden in Polen auch nicht lautstark thematisiert.
Der TV-Moderator hatte dann noch darauf hingewiesen, dass mit einer westlichen Niederlage in der Ukraine mittlerweile nicht mehr die Rede ist von einem “Ob”, sondern von einem “Wann” in Bezug auf einen direkten Krieg der NATO gegen Russland. Des Weiteren nannte er als Stichwort die im Westen vielzitierten “drei, vielleicht fünf Jahre”, bevor dieser größere Krieg ausbrechen würde. Dazu erläuterte der General:
“Falls Russland in der Ukraine gewinnen sollte, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit für Krieg, für einen Konflikt immens … Dass wir alles tun, damit Russland in der Ukraine nicht siegt, ist unsere Staatsräson.”
Später legte der polnische General dem Fernsehmann trotzdem nahe, dass er selbst immer noch von einem “Ob” ausgeht – was wohl gleichbedeutend ist mit seiner militärstrategischen Annahme, dass die Ukraine gegen Russland doch noch einen eindeutigen Sieg verbuchen werde – eine Annahme, die von unabhängigen Analysten im Westen mittlerweile kaum mehr argumentiert wird.
Elem Chintsky ist ein deutsch-polnischer Journalist, der zu geopolitischen, historischen, finanziellen und kulturellen Themen schreibt. Die fruchtbare Zusammenarbeit mit RT DE besteht seit 2017. Seit Anfang 2020 lebt und arbeitet der freischaffende Autor im russischen Sankt Petersburg. Der ursprünglich als Filmregisseur und Drehbuchautor ausgebildete Chintsky betreibt außerdem einen eigenen Kanal auf Telegram, auf dem man noch mehr von ihm lesen kann.
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