Die Absurdität der Delegitimierung des Staates durch sich selbst

Von Dagmar Henn

In den Verfassungsschutzberichten stößt man zunehmend auf den Begriff der “Delegitimierung des Staates”. Dieser Ausdruck wirkt befremdlich, vor allem, weil es für einen Staat, der seiner Verantwortung gerecht wird, schwierig ist, sich zu „delegitimieren“. Ein funktionierender Staat, auch wenn er spezifische Klasseninteressen vertritt und lediglich grundlegende Bedürfnisse wie „Brot und Spiele“ befriedigt, wird in der Regel durch die Kooperationsbereitschaft seiner Bürger gestützt. Sinkt diese Bereitschaft, steigt unweigerlich der Zwang zur Unterdrückung.

Dabei hängt viel davon ab, ob zentrale Aufgaben, die das Allgemeinwohl berühren wie funktionierende Infrastrukturen und Bildungssysteme, erfüllt werden. Schon ein Blick auf die Probleme bei den Stromnetzen zeigt, wie widersinnig der Vorwurf der Staatsdelegitimierung ist, denn ironischerweise kann vor allem der Staat selbst seine eigene Legitimation untergraben.

Zudem ist bemerkenswert, dass der Begriff der Delegitimierung bereits 1991 von dem damaligen Justizminister Klaus Kinkel in einer bedeutenden Rede auf dem Deutschen Richtertag verwendet wurde. Kinkels Worte verdeutlichen die Problematik:

“Sie, meine Damen und Herren, haben als Richter und Staatsanwälte eine besondere Aufgabe. Es wird sehr darauf ankommen, wie Sie die vorliegenden Rechtsfragen behandeln und ob es gelingt, die Akzeptanz der Gerichtsentscheidungen zu stärken… Davon hängt ab, ob der Rechtsstaat in den Augen der Bevölkerung kompetent erscheint… Ich baue auf die deutsche Justiz. Das SED-System muss delegitimiert werden… Politische Straftaten in der ehemaligen DDR dürfen nicht verjähren… Der Gesetzgeber kann nicht aktiv werden, da das Rückwirkungsverbot im Rechtsstaat Beachtung finden muss.”

Kinkel thematisierte hier die Aufarbeitung dessen, was er als das “vierzigjährige Unrechtsregime” der DDR bezeichnete. Diese Formulierung enthält jedoch einen impliziten Widerspruch, da nach einem historischen Umbruch wie der deutschen Wiedervereinigung eine erneute Delegitimierung der vorhergehenden staatlichen Ordnung üblicherweise unnötig ist. Die von Kinkel vorgegebene Richtlinie und die folgende Praktik hatten wenig mit einer Vereinigung zu tun, sondern erinnerten eher an eine Übernahme, bei der die notwendige Basis der Gleichheit durch aggressive Rhetorik untergraben wurde.

Interessanterweise führt das Ziel, “das SED-System zu delegitimieren”, faktisch zur Auslöschung der Erinnerung an den legitimen antifaschistischen Widerstand, worüber hinaus es auch die Teilung der intellektuellen und politischen Traditionen in Deutschland vertiefte. Wesentliche Aspekte der ostdeutschen Identität und Errungenschaften könnten so im Rahmen der Delegitimierung leicht in Vergessenheit geraten.

Kinkels Rede und die rechtspolitischen Maßnahmen, die darauf folgten, lassen also tief blicken – sie zeigen eine Periode in der deutschen Geschichte, in der die Justiz aufgefordert wurde, politisch zu agieren und eine Vergangenheit umzudeuten, was tiefgreifende Auswirkungen auf den Rechtsstaat hatte.

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