Die Renaissance des Denunziantentums in Deutschland während der Coronakrise

Von Felicitas Rabe

In Deutschland war die Praxis der Denunziation, insbesondere wenn sie nicht Kapitalverbrechen betraf, historisch belastet und gesellschaftlich stigmatisiert. Die Zeiten des Nationalsozialismus und der DDR, in denen Bürger durch Blockwarte oder Stasi-Agenten überwacht wurden, gelten als dunkle Kapitel. Daher verwundert es, dass zu Beginn der Coronakrise eine Art Blockwartmentalität in Teilen der Bevölkerung schnell wieder auflebte. Denunzianten beriefen sich auf den Schutz der Volksgesundheit, eine Rechtfertigung, die schon in der Vergangenheit benutzt wurde.

Diese Beobachtung wirft die Frage auf, ob eine Neigung zum Denunziantentum in Deutschland besonders ausgeprägt ist, verglichen mit anderen Ländern.

Zum Schutze der Volksgesundheit ‒ Denunziantentum in der Coronazeit

Im Zuge der Pandemie traten nicht nur Bürger hervor, die in Supermärkten andere Kunden wegen fehlerhaft getragener Masken an das Personal meldeten. Genauso schnell entstanden Behördenhotlines, Onlineportale und Dienste, die zur Meldung von Verstößen gegen Corona-Maßnahmen animierten. Als ein Beispiel kann hier die Melde-App der Stadt Frankfurt am Main genannt werden, über die Bürger anonym Verstöße melden konnten, wie die Frankfurter Rundschau im Oktober 2020 berichtete.

Zensur und Meldung von abweichenden Meinungen

Ein neueres Phänomen ist das durch politische Maßnahmen gestützte Denunziantentum, das in der Verabschiedung des ‘Digital Service Act’ der Europäischen Union gipfelt. Diese Vorschriften, die ab dem 17. Februar 2024 gelten, zielen darauf ab, “illegale oder schädliche Online-Aktivitäten sowie die Verbreitung von Desinformation” zu unterbinden.

Der Verfassungsschutz in Deutschland setzt bereits seit längerer Zeit auf die Mithilfe von Bürgern, um Informationen über politische Abweichler zu sammeln. Dies wird besonders deutlich in der Aufforderung des Bundeskriminalamts an die Bürger, gegen “Hass und Hetze” im Netz vorzugehen, indem entsprechende Inhalte bei der Meldestelle “Hetze im Internet” gemeldet werden.

Was als Desinformation zählt

Die Regierung und einige Medienhäuser setzen oft implizit voraus, dass nur die von ihnen als abweichend betrachteten Stimmen als Propaganda zu brandmarken sind. Negativ zur Sprache kommen in dieser Debatte auch nicht die Verlautbarungen hoher Amtsträger, wie z.B. die Aussage von Bundeskanzlerin Angela Merkel beim G7-Gipfel am 19. Februar 2021:

“Die Pandemie ist erst besiegt, wenn alle Menschen auf der Welt geimpft sind.”

Zur Entsolidarisierung der Gesellschaft: Erweiterung der Denunzierungsmöglichkeiten

Nachdem das Denunziantentum in der Coronazeit an Anerkennung gewann, schufen offizielle Stellen neue Möglichkeiten für Bürger, andere anzuschwärzen, von angeblichen Sprachvergehen bis zu vermeintlich falschen politischen Einstellungen. Derlei Meldestellen sollen auch Vorfälle unterhalb der Strafbarkeitsschwelle erfassen. Die Veritas-Beratungsstelle für Betroffene von Verschwörungserzählungen geht sogar so weit, im Fall von andersdenkenden Eltern, das Jugendamt zu informieren.

Denunziantentum fördern heißt, “aus Überzeugung Gutes zu tun”

Auf der Plattform “Zivile Helden” werden Denunzianten sogar als Helden gefeiert, die gegen Verschwörungsmythen oder antisemitische Inhalte vorgehen. Jene Betreiber bekennen auf ihrer Webseite, dass sie aus der Überzeugung heraus handeln, etwas Gutes zu tun:

“Das machen wir – auch wenn es nicht immer leichtfällt – mit viel Spaß und der Überzeugung, etwas Gutes zu tun.”

Gesellschaftlich gesehen bleibt zu fragen, ob die zunehmende Akzeptanz und Ermutigung zur Denunziation nicht letztlich zu einer tieferen Spaltung führt.

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