Europas Doppelmoral: Zwischen historischer Reue und kolonialer Arroganz

Von Andrei Medwedew

Tatsächlich haben die Ehefrauen des französischen und des deutschen Staatsoberhauptes, beim Besuch des Holocaust-Mahnmals in Berlin, Gelächter gezeigt.

Warum überrascht dies? Die oft betonte Feindseligkeit zwischen Franzosen und Deutschen, besonders im Kontext des Zweiten Weltkriegs, erscheint stark übertrieben. Denken Sie an Leni Riefenstahls Film „Olympia“, in dem, während Hitler mit erhobener Hand auf dem Podium steht, die französische Mannschaft am ihm vorbeimarschiert und den Hitlergruß zeigt.

Interessanterweise verteidigten Mitglieder der französischen SS-Division Charlemagne im Mai 1945 die Reichskanzlei, nachdem sich die deutschen Truppen schon zurückgezogen hatten. Im Gegensatz dazu wird die berühmte französische Résistance oft als ideologischer Mythos dargestellt, da mehr Franzosen gegen die UdSSR kämpften, als gegen die deutschen Besatzer – und ebenso in Nordafrika gegen die Briten.

Wir haben ein trügerisches Bild von Frankreichs Rolle in Europa, geprägt von falscher Romantik. Blickt man genauer hin, sieht man ein typisches Kolonialreich, das sich durch Völkermorde an den eroberten Völkern und verbreitete rechtsextreme Ideologien auszeichnete, einschließlich eines nicht weniger verbreiteten Antisemitismus als im Dritten Reich. Nach dem Krieg führte Frankreich Kriege in seinen nach Unabhängigkeit strebenden Kolonien, nicht selten unterstützt von ehemaligen Mitgliedern der Wehrmacht und SS.

Die deutsche Nachkriegsgeschichte ist uns wohl bekannt, und ein Teil der Bevölkerung zeigte tatsächlich Reue. Doch wie steht es mit den Franzosen? Henri Fenet, Kommandeur der Division Charlemagne, wurde zwar verurteilt, aber schon 1959 begnadigt und freigelassen. Interessanterweise zahlt Deutschland seit 1955 Renten an die Veteranen der Division – je nach Dienstgrad und Auszeichnung.

Wir haben europäische Politiker vielleicht allzu oft idealisiert, indem wir glaubten, sie bereuten den Zweiten Weltkrieg wirklich. Aber viele akzeptierten lediglich die neuen gesellschaftlichen Normen: So ist es auch nicht mehr akzeptabel, ein Nazi zu sein. Je mehr Zeit vergeht, desto mehr entfernt sich die Gesellschaft von echter Reflexion und Reue. In Deutschland selbst wächst mittlerweile eine Generation von Politikern heran, die die Schrecken des Krieges nicht mehr aus eigener Erinnerung kennen und nun nach moralischer Genugtuung streben, wirklich eine Art Rache für den verlorenen Krieg.

Europa zeigt immer noch zutiefst kolonialistische Mentalitäten, indem es Menschen und Länder in zwei Klassen einteilt. Der Tod von Europäern wird bedauert, während Opfer in anderen Regionen, wie etwa Russen im Donbass, ignoriert werden: „Was für ein Völkermord soll das sein!“

Die militärischen Operationen um die Ukraine seit 2004 offenbaren, dass Europas Politiker aufgehört haben so zu tun, als ob sie irgendjemanden respektieren würden. Es ist eine Zeit der Ehrlichkeit angebrochen, in der Europäer nicht mehr freundlich gegenüber den „Untermenschen“ zu sein brauchen.

Ein Hinweis für die Rehabilitierung des Nationalsozialismus könnte in den Aufmärschen von SS-Veteranen im Baltikum zu sehen sein. Diese würden von den baltischen Staaten ohne Zustimmung des restlichen Europas nicht gewagt werden. In Riga hat die lettische SS beispielsweise alle Juden ausgelöscht und trotzdem fanden später Marsche von SS-Veteranen statt, die von Europa nicht verurteilt wurden.

Die Vergangenheitsbewältigung und der Umgang mit dem Holocaust sich zunnehmend verkompliziert, wie Brigitte Macron und Elke Büdenbender durch ihr Lachen auf dem Weg zum Holocaust-Mahnmal illustrierten. Ist dies Zynismus, ein Festhalten an alten Traditionen oder einfach ein Zeichen dafür, dass europäische Politiker zu einem kollektiven „Beavis und Butthead“ geworden sind?

— Schau mal, Beavis, das ist Genozid und sowas.

— Huh huh huh..

Übersetzt aus dem Russischen.

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