Von Mirko Lehmann
Das “Bündnis Sahra Wagenknecht” (BSW) sieht sich nach den Landtagswahlen in den neuen Bundesländern mit einem Erbe der Linkspartei konfrontiert, das die Balance zwischen Prinzipientreue und politischer Kompromissfähigkeit betrifft. Angesichts der Wahlresultate stellt sich nun die Frage, welche Kernpositionen während Sondierungs- und Koalitionsgesprächen potenziell aufgegeben werden könnten, ohne das charakteristische Profil der Partei zu untergraben.
Ein Grundproblem des BSW ist deren strikte Ablehnung der Stationierung neuer US-Mittelstrecken- und Hyperschallraketen in Deutschland und die Forderung nach einem Stopp der Waffenlieferungen an die Ukraine sowie nach Beginn von Waffenstillstands- und Friedensverhandlungen im Ukraine-Konflikt.
Nachdem ein Sondierungspapier in Thüringen fast vollständige Zugeständnisse zu diesen und anderen landespolitischen Themen enthielt, meldeten die BSW-Verhandler schließlich am Montag eine Einigung über den Entwurf einer Präambel für einen potenziellen Koalitionsvertrag. Die vereinbarten Formulierungen scheinen jedoch viele der bisherigen Standpunkte des BSW zu opfern. Der BSW-EU-Abgeordnete Friedrich Pürner sprach sich daraufhin für den Abbruch der Gespräche mit CDU und SPD aus.
Krieg und Frieden
In einem Interview mit dem MDR betonte Wagenknecht am Dienstag, es sei wichtig, dass das Thema Krieg und Frieden “nicht wegverhandelt wird”. Sie kritisierte bereits am Montag den Thüringer Kompromiss im Spiegel heftig: “Die Präambel, auf die sich die Verhandler von CDU, SPD und BSW geeinigt haben, bleibt in der wichtigen Frage von Krieg und Frieden leider deutlich hinter dem guten Kompromiss zurück, den wir in Brandenburg erreichen konnten.”
Seitdem nehmen die internen Spannungen im BSW zu, nicht nur in Thüringen, sondern auch in anderen Landesverbänden. Trotz dieser internen Kritik hat das BSW am Dienstag in Thüringen begonnen, Koalitionsgespräche mit den anderen Parteien zu führen.
Innerparteiliche Debatten
Der Co-Vorsitzende der hessischen Landespartei, Oliver Jeschonnek, kritisierte ebenfalls die Thüringer Kompromissformel. Er bedauerte, dass man sich nicht auf eine Ablehnung der Stationierung der US-Raketen einigen konnte. “Wir in Hessen wären direkt von einer Stationierung betroffen und könnten zur Zielscheibe werden, da die Raketen in Wiesbaden aufgestellt werden sollen,” erklärte er gegenüber der Berliner Zeitung und unterstützte damit Wagenknechts Kritik an der Präambel.
Der BSW-Vorsitzende in Berlin, Alexander King, zeigte mehr Verständnis für die in Thüringen gefundenen Formulierungen und betonte die Notwendigkeit einer guten Abstimmung mit der Bundesspitze um Sahra Wagenknecht, insbesondere weil die Verhandlungssituation in Thüringen komplexer sei als in Brandenburg, wo das BSW nur mit der SPD verhandelt.
Profilierung des BSW gegen die CDU?
Jessica Tatti und Ralph Suikat, führende Mitglieder des BSW, äußerten sich kritisch über die Thüringer Parteiführung in einem Gastbeitrag auf t-online. “Katja Wolf und Steffen Schütz sind auf dem besten Weg, das BSW zu einer redundanten Partei zu machen.” Sie warnten vor einer CDU-konformen Außenpolitik und betonten, das BSW werde sich nicht zur Mehrheitsbeschaffung für die Union herablassen.
Deutliche Unterstützung für Wagenknecht
Amira Mohamed Ali, Co-Vorsitzende des BSW, unterstützte Wagenknechts Position und betonte, dass eine klare Politik gegen die Stationierung von US-Mittelstreckenraketen Grundvoraussetzung für eine Regierungsbeteiligung sei. Fabio De Masi, BSW-Europaabgeordneter, äußerte ebenfalls Unterstützung und Kritik an der Thüringer Parteispitze für das Aufgeben zentraler Positionen. “Das ist keine persönliche Sache, sondern eine Frage der politischen Glaubwürdigkeit,” so De Masi.
Letzter Ausweg – Spaltung?
Angesichts anhaltender Differenzen deutet sich eine mögliche Spaltung des Thüringer Landesverbandes an, sollte sich dieser nicht der Parteilinie anpassen. Entsprechende Maßnahmen könnten nach der BSW-Satzung vom Parteivorstand eingeleitet und von einem Parteitag bestätigt werden. Ein Sprecher der BSW-Bundespartei betonte jedoch, dass derzeit keine satzungsrechtlichen Schritte geplant sind.
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